Wenn Armut bei Kindern zu Bauchweh wird

Politik / 24.06.2024 • 18:02 Uhr
In dem Mitschnitt stellte der Kanzler in Abrede, dass Kinder in Österreich keine warme Mahlzeit bekommen könnten.  APA/DPA
Österreichweit sind etwa 176.000 Kinder armutsgefährdet, davon 18.000 in Vorarlberg.  APA/DPA

Vorarlberg gegen Kinderarmut mit einer Kindergrundsicherung vorgehen. Auch Sozialminister Rauch legt nun einen Fahrplan für den Bund vor.

Wien, Schwarzach Kinderarmut liegt oft im Dunkeln. Michael Simon, Leiter der Sozialberatung Bludenz des Instituts für Sozialdienste (ifs) zählt im Gespräch mit den VN drastische Beispiele aus der Schulsozialarbeit auf: “Da gibt es die Kinder, die beim Sportunterricht immer Bauchweh haben, bis wir draufkommen, dass sie sich die Turnschuhe nicht leisten können.” Andere Eltern können den Kindern das Kopiergeld nicht mitgeben. Es gibt auch das Beispiel der Direktorin, die einem Kind eine gesunde Jause mitnimmt. Erst durch vorsichtiges und wertschätzendes Nachfragen können die Ursachen ergründet werden.

“Gehäuft fällt es bei Schulveranstaltungen auf, da eine Kinder- oder Jugendwoche Geld kostet”, sagt Simon. Auch Geburtstage sind bei Beratungen öfters Themen. “Dabei treibt die Eltern oft die Frage um, ob das Kind noch zu anderen Geburtstagen eingeladen wird, wenn sie sich eine eigene Geburtstagsfeier nicht leisten können.” Wichtig sei, dass das Thema im Hinterkopf bleibt und es eine Sensibilisierung zum Thema Armut gibt.

Österreichweit sind etwa 176.000 Kinder armutsgefährdet, davon 18.000 in Vorarlberg. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) möchte die Kindergrundsicherung vorantreiben. Ziel sei es, so Rauch bei einem Pressegespräch am Montag in Wien, der nächsten Bundesregierung einen Plan zur Umsetzung inklusive Berechnungsmodellen vorzulegen. Deshalb rief er einen Runden Tisch mit diversen Sozialorganisationen, NGOs und weiteren Experten wie Fiskalrats-Präsident Christoph Badelt ein.

Ein künftiges Modell müsse neben einem einkommensunabhängigen Grundbetrag einen zweiten monetären Teil enthalten, der sich am Einkommen der Eltern orientiert. Auch Sachleistungen, wie etwa eine kostenlose warme Mahlzeit pro Tag für jedes Kind, Gesundheitsdienstleistungen wie Präventions- und Therapieangebote, müssten im Paket enthalten sein. Damit seien nicht nur Leistungen des Bundes, sondern auch der Länder betroffen.

Arbeitsgruppe in Vorarlberg

Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) arbeitet bereits an einem Modell der Kindergrundsicherung für Vorarlberg. Ziel der Arbeitsgruppe ist es, bis Sommer einen Fahrplan vorzulegen. Vorschläge, die sich schnell umsetzen lassen, sollen auch zeitnah realisiert werden. Die Landesregierung nahm einen aktuellen Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum Anlass: Demnach koste Kinderarmut Österreich jährlich 17 Milliarden Euro.

Aus der täglichen Beratungsarbeit kann Simon berichten, dass die Anmeldungen bei dem ifs seit der Teuerung um ein Drittel gestiegen sind. Der Druck, der auf Familien lastet, werde größer. Das kann Michael Diettrich von der Armutskonferenz Vorarlberg mit Zahlen unterlegen. 2022/2023 lag die reine Armutsgefährdung kontinuierlich auf 17 Prozent bzw. 67.000 Personen, bei der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung bei 20 Prozent bzw. 79.000 Personen.

Simon beschreibt Dynamiken, die in betroffenen Familien entstehen: “Wenn Eltern damit beschäftigt sind, wie sie finanziell durch den Monat kommen, haben sie vielleicht weniger Zeit für die Unterstützung ihrer Kinder.” Daher sei neben einer finanziellen Unterstützung der Fokus Bildung wichtig. “Wir wissen, dass Armut weitervererbt werden kann. Das ist kein Vorurteil gegen die Familien, sondern ergibt sich einfach daraus, dass Nachhilfe oder Tablets nicht leistbar sind.” Simon ergänzt: “Wer keine Ohnmacht, sondern eine Selbstwirksamkeit spürt, hat ganz andere Chancen und Perspektiven.”