Vier bis Fünf?
Martin Kreutner, Vorsitzender der von Justizministerin Alma Zadić eingesetzten unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von Vorgängen in der Ära des einflussreichen Sektionschefs Pilnacek, gibt Österreichs Justizsystem in der Behandlung politisch heikler Fälle nach eigenen Aussagen die Note „Vier bis Fünf“. Grund dafür sei auch, dass es in Österreich anders als in vielen anderen Ländern keine weisungsfreie Spitze der Staatsanwaltschaften gebe, sondern diese gegenüber dem Justizministerium weisungsgebunden seien. Österreich würde unter diesen Bedingungen gar nicht mehr in die EU aufgenommen werden.
„Grundsätzlich ist das österreichische Justizsystem eines der besten in der EU.“
Diese Kritik wurde in den Medien gerne aufgenommen. Ein „Vier bis Fünf“ für Österreichs Strafjustiz und als EU-Mitglied den europäischen Standards nicht entsprechen – was für ein Debakel! Dabei spielt es keine Rolle, dass, wenn nach denselben Maßstäben gemessen wird, auch andere Länder wie Deutschland oder die Niederlande nicht mehr der EU beitreten könnten, weil auch dort die Staatsanwaltschaften ähnlich organisiert sind. Und dass sich Vertreterinnen und Vertreter der Justiz zu Recht gegen diese ungerechtfertigte Kritik zur Wehr gesetzt haben, wurde als Beleidigtsein abgetan.
Grundsätzlich ist das österreichische Justizsystem eines der besten in der EU. Die Verfahren werden im Vergleich zu anderen Ländern relativ rasch abgewickelt, die Digitalisierung ist weit fortgeschritten und die Gerichte arbeiten qualitativ hochwertig. Auch für die Strafjustiz selbst gibt es kein „Vier bis Fünf“: Abgesehen davon, dass nur eine Minderzahl der Fälle politische Relevanz hat, konnte die Kommission zwar eine Fülle von Interventionen bei Pilnacek feststellen, aber „die Frage, ob Interventionen erfolgreich waren, lässt sich aber nur schwer beantworten“, wie Kreutner einräumt.
Das bedeutet nicht, dass der Bericht der Kommission nicht wertvoll ist. Die Vielzahl der Interventionen zeigt klaren Handlungsbedarf auf. Dafür jedoch ausschließlich den verstorbenen Sektionschef und nicht auch eine jahrzehntelange Tradition unter verschiedensten Justizministern und -ministerinnen verantwortlich zu machen, wäre schäbig. Die Einführung einer unabhängigen Leitung der Staatsanwaltschaften wird ein Projekt für die folgende Legislaturperiode sein. Es wäre jedoch naiv zu glauben, allein deshalb, weil eine Art „zweiter Justizminister“ geschaffen wird, würden Interventionen verhindert.
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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