Vorarlberger Banker in der Ukraine: „Keine Ansätze von Aufgeben“

Politik / 21.08.2024 • 15:51 Uhr
Der Vorarlberger Gerhard Bösch ist CEO der größten Band der Ukraine.  Privatbank
Der Vorarlberger Gerhard Bösch ist CEO der größten Bank der Ukraine.  Privatbank

Gerhard Bösch leitet die größte Bank der Ukraine. Ein möglicher EU-Beitritt ist eine wichtige Perspektive im Land.

Kiew, Wien Der Vorarlberger Gerhard Bösch ist CEO der ukrainischen Privatbank, der größten Bank der Ukraine. Seit 2022, direkt nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, berichtet er den VN regelmäßig über die Stimmung und den Alltag in Kiew – einer Metropole, die weiter pulsiert, obwohl sie sich im Krieg befindet. „Würden Sie Kiew demnächst besuchen, würden Sie nicht glauben, dass Sie sich in einem Kriegsgebiet befinden“, sagt Bösch im Telefonat mit den VN.

Das liege daran, dass es keine Straßenblockaden und Kontrollen mehr gebe. Zudem haben auch alle Lokale und Geschäfte offen. „Sie bekommen hier alles, was Sie wollen“, sagt der Banker. Im Stadtbild seien höchstens mehr Menschen in Uniform zu sehen als früher. Bösch ergänzt: „Das Leben schaut an der Oberfläche absolut normal aus – bevor man anfängt, mit den Leuten zu sprechen.“

Ukrainer halten durch

Denn Normalität sehe anders aus: „Nach zweieinhalb Jahren ist kaum eine ukrainische Familie nicht direkt betroffen, etwa durch Verwundete, Verletzte, oder ‘nur’ Geflüchtete im engeren Kreis. Es ist eine extreme Situation für die Bevölkerung. Aber auf der anderen Seite sehe ich keine ‘Kriegsmüdigkeit’ im Sinne von Aufgeben und das tun, was sich Russland wünscht. Das sehe ich nicht einmal in Ansätzen.“ Denn, so Bösch: „Eine Lösung unter russischen Diktat wäre das Ende von allem, was Ukraine bedeutet. Da hat hier niemand eine Illusion.“

Der Durchhaltewille sei auch bei einigen Kollegen extrem. Ein Kollege wurde im Jänner schwer verletzt, verlor einen Fuß, ging durch die Rehabilitation und meldete sich bereits im Juni wieder für seine Einheit.

Es sei jedoch nicht so, dass sich die Ukrainerinnen und Ukrainer kein Ende des Kriegs herbeiwünschen würden, präzisiert der Vorarlberger. In Kiew habe es seit Beginn des Angriffskriegs wahrscheinlich zwischen 3000 und 4000 Mal Luftalarm gegeben, hat Bösch unlängst im Kopf überschlagen. Jeder habe die Warn-Apps am Handy, welche Gebiete gerade angegriffen werden. Dazu kommen extreme Probleme und Einschränkungen der Energieinfrastruktur. „Seit Mai hatten wir jeden Tag Stromausschaltungen.“

Wirtschaft

Das Bankgeschäft sei hingegen in jeder Beziehung stabil, berichtet Bösch. Es haben alle Banken, alle Filialen offen, es werden Kredite vergeben. Die Bargeldversorgung, der Betrieb der Bankomaten, die Auszahlung von Pensionen und Transfers funktionieren ohne Einschränkungen. „Auch die Privatbank verbucht weiterhin Rekordergebnisse, wir sind mit Abstand am meisten gewachsen“, sagt Bösch.

Gesamtwirtschaftlich sehe es anders aus: Das liege zum Teil am Ausfall in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten. Weiters gebe es auch weniger Produktion in jenen Gebieten, die an die Kämpfe angrenzen. Positiv sei hingegen heuer, dass die landwirtschaftlichen Exporte sogar ohne Abkommen mit Russland mehr oder weniger uneingeschränkt funktionieren. „Insgesamt wächst die Wirtschaft heuer um drei bis vier eventuell fünf Prozent. Es gibt keinen Kollaps, wenig Arbeitslosigkeit, aber natürlich einen Arbeitskräftemangel“, berichtet Bösch.

Zudem kommt nach wie vor viel finanzielle Unterstützung aus dem Ausland, ergänzt der Banker: „Es fließt ja nicht alles nur direkt in das Militär. Alle Pensionisten bekommen ihr Geld und es gibt Unterstützungen für gewisse Sektoren, um die wirtschaftliche Infrastruktur am Leben zu halten.“

Ruf von Österreich

Dass Österreich weiter von russischem Gas abhängig ist, werde in der Ukraine „natürlich wahrgenommen“, formuliert des Bösch. Andererseits sei Österreich jedoch keines der Schlüsselländer für die Unterstützung. Es werde viel mehr darauf geachtet, was in England, Deutschland oder etwa Skandinavien passiert. „Ich glaube, auch die österreichische Botschaft macht hier einen sehr guten Job“, betont er.

Hoffnung auf EU-Beitritt

Das wichtigste Projekt nach dem Abschluss des Kriegs sei sicherlich ein möglicher EU-Beitritt der Ukraine. „Das wird nicht von 100 Prozent der Ukrainer so gesehen, dass das unbedingt notwendig ist. Dennoch ist diese Perspektive insgesamt enorm wichtig für Moral hier.“ Es seien bis dahin viele tiefgreifende Reformen notwendig. Aber Bösch ist überzeugt: „Diese könnten schneller implementiert werden, als viele außerhalb der Ukraine glauben.“