Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Linker Unsinn zum Wohl der Rechten

Politik / 18.10.2024 • 14:44 Uhr

Die meistgelesene politikbezogene Schlagzeile – abseits des Ringens um eine neue Regierung in Österreich sowie in Vorarlberg – war in der vergangenen Woche vielleicht diese: „Wohlstand in Österreich nimmt für breite Teile der Bevölkerung ab“. So formulierte es eine Qualitätstageszeitung in Wien. Auf VOL.at las es sich marginal anders, und das kam der Wahrheit näher: „AK sieht Wohlstand in Österreich gefährdet“.

Was war geschehen, warum der große Widerhall? Folgendes war geschehen: Die Arbeiterkammer hatte ihren jährlichen „Wohlstandsbericht“ veröffentlicht. Die Medien reportierten. Die Öffentlichkeit apportierte. Die Arbeiterkammer kam unter Bezugnahme auf mehrere Kriterien dabei zu etwa diesem Schluss, so zusammengefasst vom „Standard“: „Die Folgen von Teuerung und hohen Energiekosten lasten auf den Österreichern. Das Budgetdefizit und die Arbeitslosigkeit steigen. Für die nächste Regierung ist das keine einfache Ausgangslage.“

Dass die sozialpartnerschaftliche Vertretung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen als Ratschlag für jene nächste Regierung eine Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden empfiehlt, erwähne ich nur am Rande. Vielmehr konzentriere ich mich hier darauf zu erklären, warum jene Aussage bezüglich des „Wohlstands“ einfach falsch ist. Irreführend wäre ein zu minderes Wort. Und das hat böse innenpolitische Folgen, aber dazu später. In jenem Bericht wird die Aussage, dass die Menschen Wohlstand verlieren, also ärmer werden, also vor allem weniger Kaufkraft haben, weniger Geld, nicht stichhaltig belegt. Vielmehr wird etwa darauf hingewiesen, dass der Gender-Pay-Gap sich zu langsam schließt oder Vermögen weniger gleich verteilt ist. Der von der AK genannte Wohlstandsverlust bezieht sich, soweit ich das verstehe, darauf, dass das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner gesunken ist. Das mag stimmen, und das ist auch ein Alarmzeichen für die Zukunft. Aber der persönliche Wohlstand des Einzelnen, der Einzelnen? Das finde ich nicht.

Es wäre auch eigenartig, würde ich das finden. Wenn wir uns nämlich die Lohnentwicklung in nahezu jeder beliebigen Zeitspanne der jüngeren Vergangenheit ansehen, dann bemerken wir, dass die Löhne stets stärker gestiegen sind als die Inflation, als die Teuerung. Die Menschen konnten sich also trotz Krisen eher mehr als weniger leisten. Auf X, ehemals Twitter, wurde ich darauf hingewiesen, die Lohnanpassung käme aber immer nur zeitverzögert. Das stimmt, allerdings haben die Arbeitnehmer (auch die Pensionisten) auch zeitverzögert hohe Lohnabschlüsse, wenn die Inflation bereits nachgelassen hat. Das alles fällt unter Lohn-Preis-Spirale beziehungsweise hier Preis-Lohn-Spirale.

Politisch hat und hatte diese faktenwidrige Darstellung wie erwähnt böse Folgen. Als wichtigste Themen bei den Nationalratswahlen und bei den Landtagswahlen in Vorarlberg wurden „Teuerung und Zuwanderung“ genannt, in Vorarlberg jeweils von 41 Prozent der Befragten. Aber wie eben dargelegt, entpuppt sich diese Teuerung statistisch als ein bloß gefühltes Phänomen, ist durch die Reallohnzuwächse bei der Bevölkerung in dieser Form nicht angekommen. Tatsächlich wurde die Inflation im Wahlkampf von zwei Parteien auch massiv bespielt: von der FPÖ mit großem Erfolg, von der SPÖ offensichtlich ohne jeden Erfolg. Dass die (nicht in Vorarlberg) der SPÖ nahestehende Arbeiterkammer mit ihrer Lesart von „Wohlstand“ dem Erfolg der Freiheitlichen damit Vorschub leistet, ist die absurde Pointe dieser Geschichte.