Neues Regierungsprogramm: Ziel kann nicht “kleinster gemeinsamer Nenner” sein

Karl Nehammer erhielt von Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Auftrag zur Regierungsbildung, nachdem Herbert Kickl keinen Koalitionspartner fand – eine Premiere in der Geschichte der Zweiten Republik. Das wäre auch eine nun sehr wahrscheinliche Dreierkoalition.
Wien Am Ende kam die Entscheidung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen nicht überraschend. “Herbert Kickl findet keinen Koalitionspartner, der ihn zum Bundeskanzler macht”, sagt er am Dienstag in der Hofburg. Deshalb betraute er Karl Nehammer, der mit der ÖVP nur auf Platz zwei landete, mit der Regierungsbildung.
Nehammer und SPÖ-Chef Andreas Babler hätten mehrere Gründe genannt, warum sie nicht mit Kickl können. Van der Bellen zählt auf: Sorgen um die liberale Demokratie, um die Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung, um die europäische Ausrichtung, außerdem die Putin-Nähe der FPÖ, massive Sicherheitsbedenken der ausländischen Geheimdienste, eine spaltende und herabwürdige Sprache, ein rückwärtsgewandtes Frauenbild und die fehlende Abgrenzung gegenüber Rechtsextremen.

Neos haben gute Chancen
Der ÖVP-Chef soll nun umgehend mit der SPÖ verhandeln. Offen ist die Frage, ob es einen dritten Partner braucht. Hier haben die Neos gute Chancen, erstmals in eine Bundesregierung einzuziehen. “Das nennt man minimale Gewinnkoalition”, sagt Politologe Peter Filzmaier über eine mögliche ÖVP-SPÖ-Zweierkoalition, die nur ein Mandat Überhang hätte. “Das wäre natürlich instabil.” Filzmaier zieht einen Fußballvergleich: “Das wäre so, als hätte man für fünf Saisonen nur elf Spieler. Da darf keiner krank werden oder einmal ausfallen. Und jeder einzelne Spieler kann bei der nächsten Verhandlung erpressen.”
Die Neos haben nun ein Problem, erklärt der Politologe: “Sie haben den allerdeutlichsten Reformanspruch. Was davon ist umsetzbar?” Hier gebe es schon negative Erfahrungen: Die Neos waren in Salzburg in der Landesregierung und sind danach sofort aus dem Landtag herausgefallen. “Die Mühen der Ebene werden ihnen schaden. Auch wenn jetzt noch niemand Fünf-Jahres-Entwicklungen abschätzen kann. Aber für die nächsten ein bis zwei Jahre wird das undankbar”, sagt Filzmaier. Man könnte den Neos etwa ihre “Spielwiese” Bildung überlassen. Aber ambitionierte Reformen geben die Budgets aktuell nicht her.

Knappe Budgets
Das Geld ist auch der große Knackpunkt. “Die Frage ist, wie aktuell ein Regierungsprogramm mit einer positiven Zukunftserzählung zustande kommen soll”, sagt Filzmaier. Zudem sei die Liste der Wahlversprechen mehr oder weniger diametral. Neos und ÖVP sind zum Beispiel gegen neue Steuern. Die SPÖ sieht eine Reihe von vermögensbezogenen Steuern vor. Neos und ÖVP wollen den Wirtschaftsstandort stärken. Die SPÖ plädiert für die 32-Stunden-Woche. “Es geht jetzt nicht darum, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu verständigen. Die Argumentation müsste sein: Das ist etwas ganz Neues und jetzt machen wir auch etwas ganz Neues. Da fehlt aktuell noch die Fantasie, was das sein könnte.”
Ob SPÖ-Chef Andreas Babler in dieser Konstellation den Vizekanzler machen will, ist fraglich. “Natürlich hat die Trennung von Parteivorsitz und Vizekanzlerjob viele Tücken mit zwei Kommunikations- und Machtzentren.” Aber ein Vizekanzler müsse auch viel glätten und begradigen, teilweise bei Sachverhalten, von denen er nicht überzeugt ist. Filzmaier bringt einen Vergleich: “Dann dürfte er in der Koalition mit der ÖVP ja nicht Gewessler sein, sondern er müsste Kogler sein.”

Dreierkoalition wäre Premiere
In den Frühphasen nach dem Zweiten Weltkrieg gab es bereits einmal einen kommunistischen Minister. Aber das sei nicht mit einer Dreierkoalition im heutigen Terminus vergleichbar, erklärt Filzmaier. “Es ist nicht per se so, dass Dreierkoalitionen instabiler sein müssen. Alle frühzeitigen Neuwahlen waren ja bei Zweierkoalitionen. Gerade die FPÖ kann hier nicht gegen eine instabile Dreierkoalition argumentieren”, sagt er.
Zweite Premiere: Regierungsauftrag an Zweiten
Mit dem Auftrag an ÖVP-Obmann Nehammer hat der Bundespräsident erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik nicht den Spitzenkandidaten der stärksten aus der Nationalratswahl hervorgegangenen Partei mit der Regierungsbildung betraut. Dass letztlich nicht die Nummer Eins unter den Parteien eine Koalition bildete und den Kanzler stellte, gab es mit der ÖVP-FPÖ-Koalition nach der Wahl 1999 zwar schon, allerdings ohne Auftrag des Bundespräsidenten.
“Bei der Nationalratswahl am 29. September handelte es sich nicht um ein Rennen, in dem die Partei, die als erste durchs Ziel geht, automatisch die Regierung stellt”, erklärte Van der Bellen. Laut Verfassung gehe das Recht der Republik vom Volke aus. Und “niemand kann alleine das ganze Volk für sich beanspruchen”, sagte der Bundespräsident wohl in Richtung Kickl.

Haiders Fehler
Dass Herbert Kickl mit dem ersten Platz nicht auf den Kanzleranspruch verzichtet, sei nachvollziehbar, sagt Filzmaier. “Er war ja im Jahr 2000 Mitarbeiter von Jörg Haider. Er sieht das als größten Fehler Haiders, dass er den Kanzlersessel der ÖVP überlassen hat.”
Kickl meldete sich Dienstagnachmittag via Facebook zu Wort. Darin pochte er weiter auf eine Regierungsbeteiligung der FPÖ: “Ich verspreche Euch: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Heute ist nicht aller Tage Abend.”