Wolfgang Burtscher

Kommentar

Wolfgang Burtscher

Geschwätz von gestern

Politik / 28.10.2024 • 07:15 Uhr

„Im Grunde ist es so, als ob Ihr Nachbar Sie seit Jahren Tag für Tag unflätig über den Gartenzaun hinweg beschimpft, um Ihnen eines Tages dann plötzlich mit dem Vorschlag zu kommen, ob Sie zur Rettung des Weltklimas nicht gemeinsam Carsharing machen und Sojabohnen anbauen wollen.“ Dieser Vergleich mit der Situation Herbert Kickls in der „Kleinen Zeitung“ hat was für sich. Auch wenn das die eingefleischten Kickl-Fans nicht wahrhaben wollen – siehe die Leserbriefe in dieser Zeitung. Der FPÖ-Obmann hat sich selbst überdribbelt. Es sei denn, auch das um sich Schlagen im Wahlkampf und die jetzige Wehleidigkeit seien ein abgekartetes Spiel, um sich nach dem möglichen Scheitern der jetzt geplanten Drei-Parteien-Regierung wieder in Stellung zu bringen.

“Was denken die zukünftigen Partner Wallner und Bitschi übereinander?”

Warum gehen in Vorarlberg die Uhren anders? Warum wird die FPÖ in der Landesregierung landen? Christof Bitschi ist zwar eher hemdsärmelig gestrickt und beileibe kein Intellektueller wie Kickl, der einmal Hegel als seinen Lieblingsphilosophen bezeichnet hat. Aber Bitschi hat einen taktisch geschickten Wahlkampf gemacht, ohne Wallner andauernd so ans Bein zu pinkeln wie Kickl an Nehammer. Wenn man das Ergebnis, also eine Regierungsbeteiligung, betrachtet, war Bitschi um Häuser cleverer als der ach so kluge Kickl. Ich sagte schon am Wahlabend: Wo Bitschi draufsteht, ist Kickl drin.

Der Alt-FPÖ-ler Hubert Gorbach sagt in der NEUEN: Bitschis FPÖ bleibt Kickl-FPÖ. Gilt mit Einschränkungen. Während sich Kickl auch einen Öxit (EU-Austritt) vorstellen kann, sagt Bitschi: „Unser exportorientiertes Land im Herzen von Europa hat ein besonderes Interesse an einer gut funktionierenden EU. Große Fragen, die nur gemeinschaftlich geregelt werden können, sollen durch ein starkes Europa gelöst werden“. Auch von Kickls „Festung Österreich“, in die am liebsten kein Ausländer hineindarf, ist bei Bitschi nicht die Rede: „Wir brauchen als Bundesland Fachkräfte aus dem Ausland“. Markus Wallner weiß natürlich, dass auch bei Teilen seiner eigenen Wähler eine Koalition mit der FPÖ nicht gut ankommt und versucht jetzt, sich Bitschi schönzureden, Motto „Wir haben keinen Kickl im Land“ (im Ö1-Morgenjournal).

Was denken die zukünftigen Partner Wallner und Bitschi übereinander? Die Rache der Journalisten an den Politikern ist das Archiv, meinte der legendäre ZiB2-Moderator Robert Hochner. Zu Wallner/Bitschi muss man gar nicht so lang zurück blättern. Bitschi im Zug der Wirtschaftsbundaffäre: „Ich traue jedem Handwerker mehr als diesem Landeshauptmann“. Er hat Wallner vorgeworfen, dem Land großen Schaden zugefügt zu haben. Dieser möge erkennen, dass seine Zeit vorbei sei. Wörtlich: „Übernehmen Sie Verantwortung und entschuldigen sich bei den Vorarlbergern und treten Sie zurück“. Zu den Ermittlungen gegen Wallner und gelöschte Daten auf dessen Handy: „Also hat er etwas zu verbergen. Es gibt in der Politik Moral und Anstand – und das hat der Landeshauptmann leider nicht mehr“. Er verwies auf „skandalöse Machenschaften, die jetzt auch klar in Richtung Korruption gehen“. Gar nicht so lange her, Frühjahr 2022. Umgekehrt hat Wallner nach Auffliegen des Ibiza-Skandals 2019 eine Koalition mit der FPÖ unter Christof Bitschi dezidiert ausgeschlossen. Die Reaktion der FPÖ auf Ibiza sei „absolut unzureichend“, die Vorgänge „eine Offenbarung von politischem Abschaum“.

Und jetzt: Friede, Wonne Eierkuchen. Als ob nie etwas gewesen wäre. Nix mehr von Abschaum auf der einen Seite und fehlender Moral und Anstand, skandalösen Machenschaften und Korruption auf der anderen. Wallner und Bitschi werden sich möglicherweise mit einem Zitat von Konrad Adenauer trösten: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.

Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landes­direktor, lebt in Feldkirch.