Ein halbes Leben in der Politik: “Ich habe immer gesagt, dass ich in Würde gehen will”

Katharina Wiesflecker scheidet aus der Landesregierung aus. Den VN verrät sie, welches die schwierigste Zeit in den vergangenen 30 Jahren war, mit welchem Slogan sie ihren ersten Wahlkampf bestritt und welche Rolle Johannes Rauch bei ihrer Sitzplatzwahl im Landtag spielte.
Bregenz „Mir reichts. Ich geh schaukeln.“ Dieser Schriftzug ziert die Wand links der Bürotür von Katharina Wiesflecker. Gegenüber steht der Schreibtisch der Landesrätin, den sie bald räumen muss. Der Schriftzug war ein Geschenk. Doch sprach er der Grünen auch schon aus der Seele. 30 Jahre, nahezu die Hälfte ihres Lebens, verbrachte Wiesflecker in der Politik. Zuerst als Landesgeschäftsführerin, dann zehn Jahre als Landtagsabgeordnete und weitere zehn Jahre als Mitglied der Landesregierung. Am Freitag wechselt Wiesflecker in die Pension. Schwarz-Grün ist in Vorarlberg vorerst Geschichte.

Auf dem Weg in die Regierung
Wiesflecker spaziert in die Parteizentrale, unweit des Landhauses. Sie ist auf der Suche nach älteren Bildern und erinnert sich dabei an ihr erstes Wahlplakat. „Familie UND Beruf, nicht entweder oder“ stand darauf. Sie selbst hatte 2004 – rund ein Jahr nach ihrer Angelobung als Landtagsabgeordnete – ein Kind bekommen. Als ihre Tochter ein halbes Jahr alt war, zog Wiesflecker neben Johannes Rauch wieder in den Wahlkampf. Dabei erzielten die Grünen 10,2 Prozent, 2009 waren es 10,6 Prozent und 2014 wurden es 17,1 Prozent. Mit diesem Ergebnis war der Weg in die Landesregierung geebnet. Zehn Jahre sollte die Zusammenarbeit mit der ÖVP halten.

Wiesflecker war in dieser Zeit Soziallandesrätin. Das politische Geschäft kannte sie gut genug. „Inhaltlich wurden mir als Landesrätin jene Bereiche übertragen, mit denen ich mich schon in der Opposition beschäftigt habe.“ Es sei motivierend gewesen, in die Gestaltung zu kommen. „Aber die Realität holt einen auch ein“, verweist Wiesflecker auf budgetäre Rahmenbedingungen oder darauf, wie lange es dauern kann, bis das Kinderbetreuungsangebot tatsächlich laufend weiterwächst. Mit dem Eintritt der Grünen in die Landesregierung sei hier aber ein Paradigmenwechsel gelungen.

„Es wird einem übel“
Bereits zu Beginn ihrer Abgeordnetenzeit hatte Wiesflecker immer wieder auf Mängel verwiesen. Dass Anfang der 2000er Jahre manche Kindergärten nur zwei bis drei Halbtage pro Woche offen hatten, quittierte sie mit: „Es wird einem übel.“ Als Landesrätin war Wiesflecker später fünf Jahre lang für die Betreuungsangebote der Kleinkinder zuständig und blickt zufrieden auf ihre Bilanz.

Corona sitzt in den Knochen
Eine der schwierigsten Zeiten sei die Pandemie gewesen. Viele Vorgaben seien zwar vom Bund gekommen. „Wir mussten uns aber mit der Umsetzung befassen.“ Wiesflecker war als Landesrätin auch für Pflege zuständig. Zu Beginn hätten Schutzmaterialien in den Heimen gefehlt. Die Besuchsregeln seien für alle Betroffenen ein großer, teils dramatischer Einschnitt gewesen. Dem Personal sei enorm viel abverlangt worden. Und dann kamen die Todesfälle. „Ich habe unterschätzt, wie diese Zeit nachwirkt“, erklärt Wiesflecker. Einschränkungen, Impfungen, Diskussionen hätten Familien und Freundeskreise gespalten. „Ich habe den Eindruck, es war ein traumatisches Erlebnis für die Gesellschaft.“

Fortschritte sieht Wiesflecker hingegen beim Frauenanteil. Frauen seien deutlich präsenter als vor 30 Jahren. Sie sind auch in anderen Rollen sichtbarer geworden – etwa als Mitglied der Landesregierung, Klubobfrau oder Vizepräsidentin im Landtag. Auch dort sei der Frauenanteil zuletzt auf fast 50 Prozent gestiegen. In der Landesverwaltung habe er in den vergangenen Jahren von rund vier auf 20 Prozent zugenommen.

Zugenommen habe auch die Sichtbarkeit gesellschaftspolitischer Themen. Wirtschaft und Infrastruktur seien früher immer im Fokus gestanden, nun hätten auch andere Bereiche die notwendige Aufmerksamkeit.

Zeit stehen geblieben
In manchen Bereichen scheinen die Uhren hingegen stehengeblieben zu sein. Rückblick November 2002. Wiesflecker wird in wenigen Wochen in den Landtag einziehen. Sie betont, die Arbeit ihrer Vorgängerin Sabine Mandak fortzusetzen und „insbesondere für die Erhaltung des Rieds und gegen die S18 kämpfen zu wollen“. Darauf angesprochen betont Wiesflecker heute: „Das S18-Thema zeigt, dass Versprechen von damals so nicht eingelöst werden konnten.“ Auch in der Zukunft werde es nicht einfach sein.

Wiesflecker wird all das als Zaungast beobachten. Sie verabschiedet sich aus ihrem Job als Politikerin, bereichernde 30 Jahre, auf die sie gerne zurückblicke. Neben dem Dienst für die Gesellschaft sei ihr stets wichtig gewesen, dass Gesundheit, Familie und Partnerschaft nicht unter ihrem Beruf leiden. „Und ich habe immer gesagt, dass ich in Würde gehen will.“ Das tue sie nun. Wenngleich der Pensionsantritt früher kommt, als sie es sich gewünscht hätte.


Vier Sitzplätze in 20 Jahren
Jänner 2003. Katharina Wiesflecker betritt als neue Abgeordnete den Landtagssitzungssaal und will sich auf den Platz ihrer Vorgängerin sitzen. Eine Person hindert sie allerdings daran: Es ist Johannes Rauch. Der damalige Fraktionschef der Grünen, späterer Landesrat und heutige Gesundheitsminister wollte den Platz für sich selbst. Wer länger im Landtag diene, dürfe näher bei Landtagspräsidenten sitzen, erklärte er Wiesflecker damals. Sie schmunzelt, wenn sie darüber nachdenkt. Dann schweift ihr Blick weiter durch den Sitzungssaal. Von der letzten Reihe auf der rechten Seiten wanderte Wiesflecker nach der Wahl 2004 mit ihren Grünen Kollegen ganz nach links – wieder in die letzte Reihe. 2009 ging es wieder zurück auf die rechte Seite, aber in die erste Reihe – mit direktem Blick auf jenen Sitzplatz, den sie ab 2014 einnehmen sollte. Dieser war auf der Regierungsbank. Vielleicht sei es ein Omen gewesen, sagt Wiesflecker.
