Ein halbes Leben in der Politik: “Ich habe immer gesagt, dass ich in Würde gehen will”

Politik / 30.10.2024 • 12:00 Uhr
Abschiedsinterview mit Katharina Wiesflecker Runde durchs Landhaus, Lieblingsplätze, Büro, Sitzungssaal, Landhaus
Katharina Wiesflecker kümmerte sich als Landesrätin um die Aufgabenbereiche Soziales, Frauen, Pflege, Kinder- und Jugendhilfe sowie Entwicklungszusammenarbeit. Nun wechselt sie in die Pension. VN/Paulitsch

Katharina Wiesflecker scheidet aus der Landesregierung aus. Den VN verrät sie, welches die schwierigste Zeit in den vergangenen 30 Jahren war, mit welchem Slogan sie ihren ersten Wahlkampf bestritt und welche Rolle Johannes Rauch bei ihrer Sitzplatzwahl im Landtag spielte.

Bregenz „Mir reichts. Ich geh schaukeln.“ Dieser Schriftzug ziert die Wand links der Bürotür von Katharina Wiesflecker. Gegenüber steht der Schreibtisch der Landesrätin, den sie bald räumen muss. Der Schriftzug war ein Geschenk. Doch sprach er der Grünen auch schon aus der Seele. 30 Jahre, nahezu die Hälfte ihres Lebens, verbrachte Wiesflecker in der Politik. Zuerst als Landesgeschäftsführerin, dann zehn Jahre als Landtagsabgeordnete und weitere zehn Jahre als Mitglied der Landesregierung. Am Freitag wechselt Wiesflecker in die Pension. Schwarz-Grün ist in Vorarlberg vorerst Geschichte.

Katharina Wiesflecker, Wahlplakat 2004
2004 war Wiesflecker mit Grüner Energie fürs Land sowie mit “Familie UND Beruf”.

Auf dem Weg in die Regierung

Wiesflecker spaziert in die Parteizentrale, unweit des Landhauses. Sie ist auf der Suche nach älteren Bildern und erinnert sich dabei an ihr erstes Wahlplakat. „Familie UND Beruf, nicht entweder oder“ stand darauf. Sie selbst hatte 2004 – rund ein Jahr nach ihrer Angelobung als Landtagsabgeordnete – ein Kind bekommen. Als ihre Tochter ein halbes Jahr alt war, zog Wiesflecker neben Johannes Rauch wieder in den Wahlkampf. Dabei erzielten die Grünen 10,2 Prozent, 2009 waren es 10,6 Prozent und 2014 wurden es 17,1 Prozent. Mit diesem Ergebnis war der Weg in die Landesregierung geebnet. Zehn Jahre sollte die Zusammenarbeit mit der ÖVP halten.

Abschiedsinterview mit Katharina Wiesflecker Runde durchs Landhaus, Lieblingsplätze, Büro, Sitzungssaal, Landhaus
Die Zeit während der Pandemie sei die schwierigste gewesen, sagt Wiesflecker. VN/Paulitsch

Wiesflecker war in dieser Zeit Soziallandesrätin. Das politische Geschäft kannte sie gut genug. „Inhaltlich wurden mir als Landesrätin jene Bereiche übertragen, mit denen ich mich schon in der Opposition beschäftigt habe.“ Es sei motivierend gewesen, in die Gestaltung zu kommen. „Aber die Realität holt einen auch ein“, verweist Wiesflecker auf budgetäre Rahmenbedingungen oder darauf, wie lange es dauern kann, bis das Kinderbetreuungsangebot tatsächlich laufend weiterwächst. Mit dem Eintritt der Grünen in die Landesregierung sei hier aber ein Paradigmenwechsel gelungen.

Ein halbes Leben in der Politik: "Ich habe immer gesagt, dass ich in Würde gehen will"
2003 wurde Wiesflecker als Abgeordnete angelobt. VN/Hofmeister

„Es wird einem übel“

Bereits zu Beginn ihrer Abgeordnetenzeit hatte Wiesflecker immer wieder auf Mängel verwiesen. Dass Anfang der 2000er Jahre manche Kindergärten nur zwei bis drei Halbtage pro Woche offen hatten, quittierte sie mit: „Es wird einem übel.“ Als Landesrätin war Wiesflecker später fünf Jahre lang für die Betreuungsangebote der Kleinkinder zuständig und blickt zufrieden auf ihre Bilanz.

Landtag, Konstituierende Landtagsitzung, Fotos von der Landtagssitzung mit Angelobung der Abgeordneten, Wahl und Angelobung der Landesregierung MARKUS WALLNER, JOHANNES RAUCH, KATHARINA WIESFLECKER
2014 wechselte Wiesflecker gemeinsam mit Johannes Rauch (Mitte) in die Landesregierung von Markus Wallner. VN/Steurer

Corona sitzt in den Knochen

Eine der schwierigsten Zeiten sei die Pandemie gewesen. Viele Vorgaben seien zwar vom Bund gekommen. „Wir mussten uns aber mit der Umsetzung befassen.“ Wiesflecker war als Landesrätin auch für Pflege zuständig. Zu Beginn hätten Schutzmaterialien in den Heimen gefehlt. Die Besuchsregeln seien für alle Betroffenen ein großer, teils dramatischer Einschnitt gewesen. Dem Personal sei enorm viel abverlangt worden. Und dann kamen die Todesfälle. „Ich habe unterschätzt, wie diese Zeit nachwirkt“, erklärt Wiesflecker. Einschränkungen, Impfungen, Diskussionen hätten Familien und Freundeskreise gespalten. „Ich habe den Eindruck, es war ein traumatisches Erlebnis für die Gesellschaft.“

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Es ist ein Plakat vor ihrer Zeit als Abgeordnete, dennoch sage es sehr viel aus. Wiesflecker hebt positiv hervor, dass der Frauenanteil im Landtag in der nun auslaufenden Legislaturperiode auf über 47 Prozent gestiegen ist. VN/Paulitsch

Fortschritte sieht Wiesflecker hingegen beim Frauenanteil. Frauen seien deutlich präsenter als vor 30 Jahren. Sie sind auch in anderen Rollen sichtbarer geworden – etwa als Mitglied der Landesregierung, Klubobfrau oder Vizepräsidentin im Landtag. Auch dort sei der Frauenanteil zuletzt auf fast 50 Prozent gestiegen. In der Landesverwaltung habe er in den vergangenen Jahren von rund vier auf 20 Prozent zugenommen.

Maurice Shourot
Nachdem Johannes Rauch in die Bundespolitik wechselte, übernahm Daniel Zadra sein Amt in der Landesregierung. VN/Shourot

Zugenommen habe auch die Sichtbarkeit gesellschaftspolitischer Themen. Wirtschaft und Infrastruktur seien früher immer im Fokus gestanden, nun hätten auch andere Bereiche die notwendige Aufmerksamkeit.

Abschiedsinterview mit Katharina Wiesflecker Runde durchs Landhaus, Lieblingsplätze, Büro, Sitzungssaal, Landhaus
Zwei Poster, eine Übergabe – Katharina Wiesflecker und Johannes Rauch übergaben im Juni 2021 die Parteiführung an Daniel Zadra und Eva Hammerer. VN/Paulitsch

Zeit stehen geblieben

In manchen Bereichen scheinen die Uhren hingegen stehengeblieben zu sein. Rückblick November 2002. Wiesflecker wird in wenigen Wochen in den Landtag einziehen. Sie betont, die Arbeit ihrer Vorgängerin Sabine Mandak fortzusetzen und „insbesondere für die Erhaltung des Rieds und gegen die S18 kämpfen zu wollen“. Darauf angesprochen betont Wiesflecker heute: „Das S18-Thema zeigt, dass Versprechen von damals so nicht eingelöst werden konnten.“ Auch in der Zukunft werde es nicht einfach sein.

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Johannes Rauch saß auf dem Platz, der näher beim Landtagspräsidenten lag. VN/Hofmeister

Wiesflecker wird all das als Zaungast beobachten. Sie verabschiedet sich aus ihrem Job als Politikerin, bereichernde 30 Jahre, auf die sie gerne zurückblicke. Neben dem Dienst für die Gesellschaft sei ihr stets wichtig gewesen, dass Gesundheit, Familie und Partnerschaft nicht unter ihrem Beruf leiden. „Und ich habe immer gesagt, dass ich in Würde gehen will.“ Das tue sie nun. Wenngleich der Pensionsantritt früher kommt, als sie es sich gewünscht hätte.

Landtag, Konstituierende Landtagsitzung, Fotos von der Landtagssitzung mit Angelobung der Abgeordneten, Wahl und Angelobung der Landesregierung KATHARINA WIESFLECKER
Emotionale Momente: Bei Wiesfleckers Angelobung zur Landesrätin war ihre Tochter mit dabei. VN/Steurer
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Ein Geschenk ihrer Tochter begleitete die Landesrätin über die Jahre. Geduld und Ausdauer seien häufig nötig gewesen. VN/Paulitsch

Vier Sitzplätze in 20 Jahren

Jänner 2003. Katharina Wiesflecker betritt als neue Abgeordnete den Landtagssitzungssaal und will sich auf den Platz ihrer Vorgängerin sitzen. Eine Person hindert sie allerdings daran: Es ist Johannes Rauch. Der damalige Fraktionschef der Grünen, späterer Landesrat und heutige Gesundheitsminister wollte den Platz für sich selbst. Wer länger im Landtag diene, dürfe näher bei Landtagspräsidenten sitzen, erklärte er Wiesflecker damals. Sie schmunzelt, wenn sie darüber nachdenkt. Dann schweift ihr Blick weiter durch den Sitzungssaal. Von der letzten Reihe auf der rechten Seiten wanderte Wiesflecker nach der Wahl 2004 mit ihren Grünen Kollegen ganz nach links – wieder in die letzte Reihe. 2009 ging es wieder zurück auf die rechte Seite, aber in die erste Reihe – mit direktem Blick auf jenen Sitzplatz, den sie ab 2014 einnehmen sollte. Dieser war auf der Regierungsbank. Vielleicht sei es ein Omen gewesen, sagt Wiesflecker.

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Die Zeit im Landhaus in Bregenz ist für Wiesflecker nun vorbei. VN/Paulitsch