Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

Politik / 15.11.2024 • 07:05 Uhr

Die deutsche „Ampelkoalition“ ist zerbrochen. Bundeskanzler Scholz wollte ursprünglich im Jänner kommenden Jahres die Vertrauensfrage stellen. Dies ließ die Frage aufkommen, weshalb Scholz nicht sofort das Parlament befasste, um damit dem Land wenigstens ein paar Wochen die Agonie des derzeitigen Regiertwerdens zu ersparen.

„Und dennoch trauten es die Schöpfer des Grundgesetzes den Behörden zu, innerhalb von zwei Monaten eine demokratische Wahl abzuhalten.“

Die deutsche Bundeswahlleiterin machte eilfertig eine verblüffende Aussage: Neuwahlen innerhalb von sechzig Tagen seien technisch nicht machbar, insbesondere könne das erforderliche Papier nicht rechtzeitig besorgt werden und die Gemeinden seien mit der Organisation in dieser kurzen Zeit überfordert. Man weiß nicht, was trauriger ist: Wenn die Aussage stimmt und ein von der Verfassung vorgesehener Neuwahltermin deshalb nicht eingehalten werden kann, weil es kein Papier gibt, oder wenn die Beamtin die Unwahrheit sagte und tatsächlich ihrem Chef ermöglichen wollte, ein paar Wochen länger im Amt zu verweilen. Freilich gab es nicht wenige Stimmen, welche die Bedenken der Bundeswahlleiterin teilten. Wie auch immer: Scholz ist in der Zwischenzeit zurückgerudert und wird die Vertrauensfrage bereits im Dezember stellen, mit der Folge, dass voraussichtlich am 23. Februar nächsten Jahres gewählt wird.

Als das deutsche Grundgesetz 1949 in Kraft trat, war das Land noch schwer von den Folgen des Zweiten Weltkriegs gezeichnet, erst allmählich begann sich die Wirtschaft zu erholen. Computer waren noch nicht erfunden. Papier gab es auch nur in begrenzten Mengen. Und dennoch trauten es die Schöpfer des Grundgesetzes den Behörden zu, innerhalb von zwei Monaten eine demokratische Wahl abzuhalten.

Gewiss: Nach dem Debakel mit den nicht klebenden Wahlkarten bei der Bundespräsidentenwahl haben wir nicht den geringsten Grund, uns über das Nachbarland lustig zu machen. Schon gar nicht, weil die Frist zwischen Neuwahlbeschluss und Wahltag bei uns doch deutlich länger ist. Aber das deutsche Beispiel ist bezeichnend dafür, wie sich die moderne Bürokratie manchmal in ihren schwerfälligen Abläufen verstrickt.

Dieser Tristesse steht die erfrischende Zuversicht der Schöpfer des Grundgesetzes gegenüber, die nicht nur entschlossen waren, Deutschland in eine demokratische und rechtsstaatliche Zukunft zu führen, sondern auch gar nicht erst auf die Idee kamen, dass Papiermangel ein Hindernis für die junge Demokratie sein könnte.

Peter Bußjäger ist Direktor des ­Instituts für Föderalismus und ­Universitätsprofessor in Innsbruck.