Fußach als Geburt der Bürgerbewegungen

Historiker sieht die heutigen Proteste gegen Straßenprojekte als Erbe der Proteste in Fußach und Rüthi.
Schwarzach Die Fußachaffäre galt lange Zeit als Geburtsstunde des modernen Föderalismus. Ihr wird nachgesagt, die Länderrechte nachhaltig gestärkt zu haben. Historiker Severin Holzknecht widerspricht. Er hat sich für seine Dissertation den Vorgängen vor 60 Jahren ausführlich gewidmet – und etwas anderes festgestellt: Fußach hat die modernen Bürgerbewegungen mitbegründet.
Vor 60 Jahren sind 20.000 Leute auf die Straße gegangen, um gegen einen Schiffsnamen zu demonstrieren. Ging es damals wirklich darum, ob ein Schiff “Karl Renner” heißt?
Severin Holzknecht Meine Zeitzeugeninterviews vor einigen Jahren haben ergeben, dass viele Demonstranten, die nach Fußach gegangen sind, nicht wussten, worum es ging. Sie haben sich einfach ein bisschen Action erwartet, wie man heute sagen würde. Auch bei der zweiten Demonstration ging es weniger um das Schiff, sondern mehr um die Unzufriedenheit mit dem Status Quo.
Womit waren die Menschen unzufrieden?
Holzknecht Die große Koalition war beinahe 20 Jahre im Amt, es gab Streitereien und Stillstand zwischen ÖVP und SPÖ. Gleichzeitig hat sich der zuständige Verkehrsminister Otto Probst ungeschickt verhalten. Er hat einen Namen aufoktroyiert, was natürlich sein Recht war. Es war ein ÖBB-Schiff, von den ÖBB bezahlt. Aber es ist politisch natürlich nicht intelligent, solche Sachen zu bestimmen, ohne auf die Gefühle und Sonderwünsche der betroffenen Bevölkerung zu hören. Dass die Sache dann so eskaliert ist, war hauptsächlich den VN zu verdanken, die damals entdeckt haben, wie man Kampagnen führt. Das ging ja später mit der Autobahntrasse Bregenz und dem Heizölkraftwerk Rüthi weiter.
Ging es auch um Spannungen zwischen Vorarlberg und Wien?
Holzknecht Die VN machten es zu einem Kampf wir gegen Wiener, Vorarlberg gegen Wien; die braven arbeitenden Vorarlberger gegen die faulen Ostösterreicher. Die ganzen Klischees wurden ins Felde geführt, und zwar auf beiden Seiten. In Wien hat man lesen können, dass es sich bei den Demonstranten um einen faschistisch konservativen Mob gehandelt hat, was natürlich nicht der Fall war.
Wie hallt Fußach in der Gegenwart nach?
Holzknecht Die Wirkung ist überschaubar. Das Schiff hieß Vorarlberg, der Minister hat klein beigegeben und die Taufe aus Niederösterreich durchgeführt. Eine Veränderung Österreichs im Sinne von mehr Föderalismus kann ich an Fußach aber nicht festmachen.
Was ist sonst von Fußach geblieben?
Holzknecht Im Nachlass von Otto Probst sieht man, dass es ihn sehr getroffen hat. Er hat jede Faschingszeitung gesammelt, die in Vorarlberg erschienen ist und ihn aufs Korn genommen hat. Der Minister war ja aus Favoriten, einem Bezirk in Wien, in dem damals zwei Drittel die SPÖ wählten. Er war Widerspruch nicht gewohnt.
Auch derzeit ist die Unzufriedenheit mit den Regierenden wieder groß. Wäre so etwas also wieder möglich?
Holzknecht Grundsätzlich sind Ausbrüche von Unzufriedenheit immer möglich. Allerdings sind die Voraussetzungen anders. Kein Medium hat noch diese Dominanz wie die VN damals. Man schafft es durch Kampagnen nicht mehr, so ein Feuer zu entfachen.
Wie lautet Ihr Fazit aus der Untersuchung der Fußachaffäre?
Holzknecht Ich habe Bürgerinitiativen verglichen. Zentraler Punkt ist, dass sowohl Fußach als auch die Proteste gegen das Heizölkraftwert Rüthi nicht ohne Unterstützung der VN möglich gewesen wären. Bei Rüthi haben sie sich gegen die ÖVP-Regierung Kessler gestellt. Und noch etwas: Die 68er-Bewegungen waren mehrheitlich links. Die Bürgerbewegungen in Vorarlberg waren zu der Zeit sehr bürgerlich. Franz Ortner, Elmar Grabherr und Anton Russ waren keine linken Ideologen, sondern Männer mittleren Alters, die aber auch unzufrieden mit dem Status quo waren. Sie haben der 68er-Bewegung ein bisschen vorgegriffen. Fußach zeigt die Unzufriedenheit in der Bevölkerung.
Das heißt, man könnte Fußach als die Geburtsstunde der Bürgerbewegungen in Vorarlberg bezeichnen?
Holzknecht Ja, das würde ich so ausdrücken. Rüthi ist die Geburt der Vorarlberger Umweltbewegung. Und bei Fußach haben sich zum ersten Mal Bürger zusammengeschlossen, um etwas gegen den Staat durchzusetzen. Das gab es davor nicht wirklich. Heute ist das relativ normal, dass sich Bürger gegen die S18, den Stadttunnel oder andere Dinge organisieren.