(Kein) Durchwinken
Der Chefökonom der Industriellenvereinigung Christian Helmenstein beklagt eine „monströse Bürokratielawine aus Brüssel“, welche die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie massiv gefährdet.
„Allerdings wäre es falsch, ausschließlich die EU verantwortlich zu machen.“
Der Experte hat recht. Tatsächlich haben vor allem technische Regulierungen, Berichts- und Nachweispflichten, welche die Wirtschaft belasten und Kosten verursachen, in der letzten Zeit wieder zugenommen, nachdem die EU-Kommission einige Jahre bemüht war, bürokratische Vorgaben zurückzuschrauben. Vor allem seit der Finanzkrise 2008 als deutlich wurde, dass Branchen, die für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft entscheidend sind, kontrolliert werden müssen, schwingt das Pendel offenbar wieder in Richtung Regulierung.
Das Gegenteil davon, die Deregulierung, wie man den Abbau von Bürokratie bezeichnet, ist vor allem im linken Segment des politischen Spektrums zum Schimpfwort geworden. Das muss die Industrie jetzt ausbaden, was jedoch im Ergebnis auf alle Beschäftigten durchschlägt. Es ist daher äußerst dringlich, dieser Entwicklung gegenzusteuern und wieder ein vernünftiges Maß zu finden.
Allerdings wäre es falsch, ausschließlich die EU verantwortlich zu machen. All die Vorschriften, die in Brüssel beschlossen werden, wurden dort zuvor in unzähligen Arbeitsgruppen unter Beteiligung der hochrangigen Beamtenschaft aus 27 Mitgliedstaaten hin und her diskutiert. Oftmals sind diese Personen – zurückhaltend formuliert – nicht unglücklich, wenn die Union höhere Standards vorgibt als von Politik und Wirtschaft in ihren Heimatländern gewünscht. Drastischer formuliert: Die Beamtenschaft bastelt in Brüssel gerne an Vorschriften, die sie zu Hause bei ihren Regierungen nicht durchsetzen kann.
Wenn sich dann die Fachbürokraten der Mitgliedstaaten mit ihren Kollegen in der Kommission einig sind, werden diese neuen Vorschriften vom EU-Ministerrat beschlossen. Eine intensive politische Diskussion findet aber nicht mehr statt, weil es sich um sogenannte A-Punkte handelt, also solche, die einfach durchgewinkt werden, weil man sich ja einig ist. Anschließend geht die Reise ins Europäische Parlament, wo bisher erfahrungsgemäß die Bürokratie eher verschärft als gemildert wurde. Ob sich das mit den neuen Mehrheitsverhältnissen im EU-Parlament ändern wird?
Kommissionspräsidentin von der Leyen hat nun vor, die mit Berichtspflichten verbundenen Belastungen der Wirtschaft um 25% zu reduzieren. Ein guter Vorschlag. Vielleicht hat auch unsere neue Bundesregierung gute Ideen, wie sie die Kontrolle über das, was in Brüssel verhandelt wird, wieder erlangen kann. Wenn nicht, wird die Initiative von der Leyens wirkungslos verpuffen.
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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