Nörgeln und Neinsagen
Wir Österreicher haben einen Hang zum Nörgeln und Neinsagen. Von Thomas Bernhard bis Peter Handke trefflich dargestellt, bis zum Herrn Karl von Helmut Qualtinger. Das bekommt auch unsere Politik zu spüren. Am Beispiel des Gesundheitswesens, eines der teuersten in Europa. Kostet über zehn Prozent des BIP. Die Häufigkeit der Spitalaufenthalte liegt um 60 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Zu viele Menschen liegen in Akutbetten, die nicht unbedingt in Spitälern behandelt werden müssten. Wer etwas daran ändern will, den bestraft der Wähler, siehe Steiermark. Dort wollte man Kleinspitäler zusammenlegen, weil sie zu klein sind, um ordentliche Qualitätsstandards zu erreichen und wirtschaftlich besser arbeiten zu können. Die Patienten wissen das und nehmen längere Anfahrtswege zu größeren Spitälern in Kauf – am Wahltag aber wählen sie jene Partei, die ihnen das Kleinspital vor der Haustür zu erhalten verspricht. Kleine Reminiszenz: In Lustenau hatten wir in den Siebzigerjahren eine ähnliche Situation. Mit Händen und Füßen wehrte man sich damals gegen die Auflassung der Geburtenstation, weil die Fahrt zu den besser ausgestatteten Spitälern in Hohenems und Dornbirn nicht zumutbar sei. In Lustenau sank die Belegung dennoch. Erinnert man sich, dass 1972 je ein schönes Landes- und Gemeindespital in Feldkirch nebeneinander eröffnet wurden, mit je einem Primariat für Anästhesie usw.? Bis man erkannt hat, dass solche Doppelstrukturen unfinanzierbar sind und man die Gemeindespitäler – bis auf Dornbirn – mit den Landeskrankenhäusern zusammengelegt hat, mit jeweiliger Schwerpunktsetzung und transparent kommuniziert. Da hätten sich die Steirer was abschauen sollen.
Fachleute wie der Gesundheits-Ökonom Ernest Pichlbauer fordern schon lange den Ausbau der ambulanten Versorgung, um die Kosten zu senken und die Effizienz zu steigern. Der Witz dabei ist, dass das auch die Politik schon lange weiß, wie „Im Zentrum“ des ORF mit Ausschnitten aus dem Archiv belegt hat. Schon 1983 hat der damalige Gesundheitsminister Kurt Steyrer (SPÖ) darauf verwiesen, dass das Spital „Funktionen angenommen hat, die von der praktizierenden Ärzteschaft wahrgenommen werden können“. Gut 20 Jahre später sagt die Ministerin Maria-Rauch-Kallat (ÖVP) fast wortgetreu dasselbe. Der aktuelle Minister Johannes Rauch fordert in diesem Sommer: „Spitalsambulanzen entlasten von Patienten, die dort nicht hingehören“. Jetzt warten wir auf das Ergebnis der Untergruppe der Dreier-Koalition.
Was auch immer man zur Sanierung des Budgets beschließt, eines ist schon sicher: Der Protest der Neinsager und Nörgler. Das riesige Sparpotential einer Pensionsreform ist unbestritten. Ebenso die Angst der Politik vor der Abstrafung durch die Wähler. Diese Woche haben Fachleute von Gabriel Felbermayr bis Wolfgang Mazal eine Steilvorlage geliefert: Anhebung des Pensionsantrittsalters auf 67 und Anpassung des Pensionsalters an die Lebenserwartung. Das machen mittlerweile die meisten Länder. Kaum waren die Vorschläge präsentiert, protestierten die Pensionistenverbände von SPÖ und ÖVP im selben Takt. Man möge zuerst das faktische Antrittsalter an das gesetzliche angleichen. Stimmt. Aber es bleibt: Wir haben immer weniger Kinder, die später die Pensionen zahlen, und wir werden immer älter. In Deutschland wird das eines der zentralen Wahlkampfthemen sein. Nur dass dort schon jetzt ein Alter von 67 Jahren gilt (spätestens 2031). Bei uns übersieht man mit Scheuklappen, dass jedes Jahr mehr Ältere in den Ruhestand gehen als Junge in den Arbeitsmarkt eintreten und Beiträge einzahlen. Die Lücke möge Vater Staat zahlen. Als gesichert gilt, dass die Budget-Verhandler die Grundsteuer anheben werden. Das Nein-Sagen der Vereinigung der Haus- und Grundbesitzer ist gewiss.
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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