Mehr als Nostalgie
Selten hat der Tod zweier früherer Politiker derart viel Betroffenheit quer durch die Landschaft ausgelöst wie bei Ex-Vizekanzler Hannes Androsch (SPÖ) und des früheren ÖVP-Chefs Josef Taus (ÖVP). Paul Lendvai nannte Taus im „Standard“, „den bedeutendsten bürgerlichen Politiker in Österreich, der nie Regierungschef wurde“. „Falter“-Herausgeber Armin Thurnher über Taus (und den verstorbenen Erhard Busek): „Ihr hattet Format. Ihr konntet begründen, was bürgerlich war.“ Der Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“, Hubert Patterer, meinte, den gerade verstorbenen Ex-Nationalbank-Präsident Claus Raidl (ÖVP) einbeziehend: „Es waren Charaktere, die auf einem festen Wertefundament standen. Da war weniger Beliebigkeit“. Dazu der Hinweis, dass die Verstorbenen „nicht mit einer Agentur ins Feld gehen mussten, um eine Position festzulegen, und die sich den Luxus leisteten, unbequem zu sein gegen die eigene Herkunftsideologie“.
Was wie Verklärung anmutet, ist mehr als Nostalgie. Es sagt uns, dass seither wenig Besseres nachgekommen ist. Androsch wie Taus haben nach Konflikten mit ihren Parteien in der Wirtschaft reüssiert. Gewiss, auch manche Nachfolger – stellvertretend Gusenbauer (SPÖ) und Kurz (ÖVP) – waren und sind pekuniär erfolgreich, aber nur unter Ausnützung der in der Politik erworbenen Seilschaften und weniger durch unternehmerische Fähigkeit. Wir leben in einer Zeit wachsender Sehnsucht nach dem starken Mann. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung befürwortet autoritäre Regierungsformen. In Deutschland fast jeder Dritte, in Frankreich und Großbritannien über 40 Prozent. In Österreich hat die Zustimmungsrate zum starken Mann 43 Prozent. åWoher kommt das? Eine wachsende Mehrheit hat das Gefühl, von ihren Politikern nicht verstanden zu werden. Viele hoffen auf eine Art Herrscher, der alle Probleme löst, wie in Ungarn oder Russland. Wenn wir mit dem Zeigefinger auf die USA zeigen, weil dort ein hemmungsloser Populist und Showman der nächste Präsident wird, sollten wir nicht vergessen, dass auch viele Österreicher auf einen Blender wie Sebastian Kurz hereingefallen sind. Zusatz: Es soll in der ÖVP noch immer Leute geben, die glauben, dass jemand wie Kurz der Partei wieder Erfolge bescheren könnte. Was wir tatsächlich brauchen, sind Leute, die über den Tellerrand hinausblicken, die Visionen haben. Ja, die Visionen. Selbst ein gescheiter Mann wie Franz Vranitzky (SPÖ) hat die Visionen einmal leicht lächerlich zu machen versucht, in Abwandlung eines Zitats des deutschen Kanzlers Helmut Schmidt („Wer Visionen hat, braucht einen Arzt“). Aber das ausschließliche Schielen auf die gerade anstehende nächste Wahl (aktuell: Burgenland und Niederösterreich) verhindert Visionen.
Charismatische Personen wie Androsch und Taus wachsen nicht auf den Bäumen. Wir wären schon froh, wenn wir Leute hätten, die den vor allem im Bierzelt auftrumpfenden Schreiern glaubhafte Alternativen entgegensetzen. Politiker, die Menschen durch außergewöhnliche Überzeugungskraft, rhetorische Fähigkeiten und durch Lösungen begeistern können. Glaubwürdigkeit und Integrität ausstrahlen, Hoffnungen verkörpern. So wie es der frühere profil-Chefredakteur Herbert Lackner zum Tod von Hannes Androsch geschrieben hat: „Nur noch selten bringt die österreichische Politik Stars hervor, deren Name jeder kennt, die in politischen Magazinsendungen ebenso ihren Fixplatz haben wie in den „Seitenblicken“ und die schillernd aus der grauen Schar der No-Names hervorragen, weil sie eine Geschichte haben.“ Dann hätten die Rattenfänger mit ihrer rückwärtsgewandten Polemik nicht so leichtes Spiel.
Im Moment warten wir darauf, dass die Dreierkoalition ansatzweise Zukunftsorientiertes zustande bringt. Wir sind ja bescheiden geworden.
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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