Andre Wolf von Mimikama: “Social Media ist Dauerwahlkampf”

Faktenchecker spricht über FPÖ-Angriffe gegen Medien, Donald Trump und absurde Wetter-Theorien.
Mäder Verschwörungstheorien, Manipulationen im Netz, Falschmeldungen. Damit setzt sich Andre Wolf, Pressesprecher, Workshopleiter und Faktenchecker beim Verein Mimikama auseinander. Vor kurzem war er auf Einladung der Neos in Mäder. Im VN-Interview unterstreicht er die Bedeutung von Medienkompetenz.
Was ist die absurdeste Verschwörungstheorie, die Ihnen in letzter Zeit untergekommen ist?
Wolf Im letzten Jahr gab es sehr viele Verschwörungstheorien in Bezug auf das Wetter. Mittlerweile ist es so, dass der Klimawandel selbst nicht mehr geleugnet wird. Jetzt wird nur noch geleugnet, dass er vom Menschen gemacht ist, Wetterereignisse wie Stürme, Feuer oder Überschwemmungen also eine Art des Geoengineerings wären. Man experimentiere absichtlich mit dem Wetter. Das ist natürlich Quatsch.
Haben Sie im Zuge der Coronapandemie eine Zunahme an Verschwörungstheorien bemerkt?
Wolf Grundsätzlich hat es sie immer gegeben. Aber seit April 2020 ist eine enorme Zunahme an gesellschaftlich gefährlichen Verschwörungstheorien da, gerade im Bereich der Elitenverschwörungen. Komplexe Probleme werden in einfache Formen gegossen. Es werden Feindbilder aufgebaut. Das brauchen Verschwörungstheorien immer. Die Zunahme war messbar, es gab auch Delikte, sowohl in Österreich als auch Deutschland. Der Verfassungsschutz beider Länder hat Alarm geschlagen.
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Die FPÖ verhandelt mit der ÖVP über eine Koalition. Sie will auch alternative Medien fördern. Was hat das für Folgen?
Wolf Die alternativen Plattformen, die sich etabliert haben, vernachlässigen die klassischen Handwerksregeln wie Check, Recheck, Doublecheck. Sie prüfen häufig nicht, ob ein Inhalt stimmt oder nicht. Sie sind sehr starke, vor allem sehr tendenziöse Meinungsmedien. Es ist ein Problem, wenn die Konsumierenden nicht mehr wissen, ob das, was sie dort sehen, wirklich den Fakten entspricht oder nur irgendeine Meinung ist, die vielleicht auf einem Vorurteil basiert. Diese Medien unterliegen keiner Kontrolle.
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Die FPÖ attackiert traditionelle Medien, bezeichnete etwa den „Standard“ als „Scheißblatt.“ Wie wirkt das?
Wolf Das ist eine Art des Framings. Das fing schon vor Jahren mit dem Begriff der „Lügenpresse“ an, der wesentlich älter ist. Das „Scheißblatt“ ist eine Radikalisierung des Begriffs. Es werden gezielt Grenzen verschoben. Medien, die eine Redaktionslinie haben, die der Partei nicht passt, werden diskreditiert. Das führt zu einer Art Einschüchterung der etablierten Medien.
Immer mehr Menschen informieren sich über soziale Medien. Wie prägen Sie die öffentliche Diskussion?
Wolf Social Media sollte man grundsätzlich nicht als Informationsbasis nehmen, was aber leider viele machen. Es können gezielt bestimmte, tendenziöse Inhalte in den Newsstream kommen, dann wirkt das wichtig. Das sind auch völlig irrelevante Inhalte, die ans Tageslicht gespült werden. Ich nenne das Phantomdiskussion. Das große Problem an Social-Media-Streams ist, dass sie gezielt gelenkt werden können. Das sehen wir am Beispiel X und an dem, was Mark Zuckerberg nun vorhat: gezielt die Algorithmen lockern, dass bestimmte Inhalte wieder mehr Reichweite haben. Das kann dazu führen, dass wir ein falsches Bild der Realität bekommen und über Themen diskutieren, die gar keine Relevanz haben.

Welche Rolle spielen soziale Medien in Wahlkämpfen?
Wolf Im realen Wahlkampf werden Plakate aufgehängt, es gelten Gesetze, dass sie nach der Wahl entfernt werden müssen. Auf Social Media gibt es das nicht, dort ist Dauerwahlkampf. Ich bekomme ständig Politsujets eingeblendet, Politiker aller Parteien machen TikToks, YouTube-Videos oder Instagram-Reels. Dementsprechend sind die Menschen politikradikalisierter als vor 15 Jahren.
Hat traditioneller Journalismus ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Wolf Jein, nicht mehr so stark wie vor sieben, acht Jahren. Das große Clickbait-Problem kennen wir alle. Es muss ein dramatisches Bild, eine tolle Überschrift sein. Da wurde massiv übertrieben. Im Text stand dann manchmal etwas ganz Anderes, Harmloseres oder Langweiligeres. Man war enttäuscht von dem, was in der Schlagzeile stand. Zudem gab es eine Zeit, als alles nur aus APA- oder DPA-Berichten bestand. Mittlerweile ist man wieder zurückgerudert und versucht zu einer gewissen Qualität zurückzukehren, auch wenn das große Problem darin besteht, dass man unter Zeit- und Gelddruck steht. Mit dem Einbruch der Print-Reichweiten hat sich das ganze Spiel sowieso geändert.
Welche Handhabe gibt es gegen Manipulationen im Netz? Muss man auch an der Medienkompetenz ansetzen?
Wolf Das ist mein Ansatz. Ich bin ein hoffnungsloser Bildungsromantiker. Ich möchte, dass alle Menschen die Bildersuche beherrschen. Ich möchte, dass alle in der Lage sind, eine Suchmaschine neutral zu nutzen oder zumindest zwei für den Vergleich verwenden zu können, dass ein bestimmtes Mediengrundverständnis da ist. Warum sind Social Media etwas anderes als klassische Medien? Dass man weiß, dass es einen Unterschied gibt und selbst in der Lage ist, mithilfe von Bildersuchmaschinen, Kartendiensten, Archiven recherchieren zu können.
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Donald Trump hat den Begriff „Fake News” geprägt. Am Montag hat er erneut sein Amt als US-Präsident angetreten. Wie geht es Ihnen damit?
Wolf Ich habe ein bisschen Angst, dass er jetzt radikaler und stärker ist als vorher. Er hat aus seinen Fehlern wahrscheinlich gelernt, weiß, wo seine Grenzen sind und wo er noch weiter gehen kann. Er wird wesentlich aggressiver sein.
Zur Person: Andre Wolf, geboren 1977, ist Blogger, Autor, sowie Content- und Social Media-Koordinator bei Mimikama. Der gebürtige Deutsche lebt in Wien, ist in der Bundesstelle für Sektenfragen im Ausschuss “Verschwörungstheorien” und im No Hate Speech Komitee Austria tätig. Von ihm erschienen die Bücher “Die Fake-Jäger” (2017) und “Angriff auf die Demokratie” (2021).