Widerstandsfähig in Zeiten des Aufruhrs

Am Ende des Treffens bittet man gemeinsam noch um das, was uns Menschen oft fehlt – um Gelassenheit: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Bei den Meetings der aus den USA stammenden internationalen Selbsthilfeorganisation AA (Anonyme Alkoholiker) sprechen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit dem Gelassenheitsgebet Mut zu. Worte, die dem amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr zugeschrieben werden, der sie vermutlich vor oder während des Zweiten Weltkriegs verfasst haben soll.
Der Terroranschlag auf Israel, der zum Krieg im Nahen Osten geführt hat, der Abnutzungskrieg in der Ukraine, der nun schon drei Jahre währt, der neue Machthaber Donald Trump in den USA, der nicht nur das demokratische System seines Landes völlig umbauen, sondern auch die bisherige Weltordnung erschüttern will: Es ist nur logisch, dass viele bei all den negativen Entwicklungen daueremotionalisiert sind. Erschöpft, traurig, wütend und hilflos. Gelassenheit fehlt uns jetzt besonders, auf allen Ebenen der Öffentlichkeit und des politmedialen Diskurses.
Gesucht: Resilienz
Um Krisen möglichst gut zu bewältigen und schwierige Situationen auszuhalten, braucht man Widerstandsfähigkeit. Resilienz ist spätestens seit den Pandemie-Jahren mehr als ein Fachbegriff von Psychologinnen und Psychotherapeuten. Damit ist die innere Fähigkeit gemeint, Probleme zu bewältigen, also die psychische Widerstandsfähigkeit gegen Stress. Eine durchaus erstrebenswerte Eigenschaft, die viele in der modernen Wettbewerbsgesellschaft so erreichen wollen: Noch ein teures Coaching, noch ein schlaues Buch, noch ein ambitionierter Lebenshilfe-Podcast.
Möglichst souverän und gelassen mit Veränderungen umzugehen, ist heute eine Herausforderung für jedes einzelne Individuum, aber natürlich ebenso für Politik und Wirtschaft. Egal, ob im Privatleben, im Job oder in Unternehmen – wir müssen uns an eine Welt anpassen, die sich in rasender Geschwindigkeit verändert. Und dabei ist es bedeutungslos, was wir von den Veränderungen halten. In dieser Situation können es auch alte Tugendethiken sein, auf die man bauen kann und die widerstandsfähig machen. Aristoteles spricht etwa davon, dass Menschen gut leben, sich also gut verhalten sollen, wenn sie miteinander ein gelingendes Leben in der Gemeinschaft führen wollen. Dabei lässt sich tugendhaftes, also richtiges Handeln, nur durch regelmäßige Übung verwirklichen. Eine Übung, die nie abgeschlossen sein wird, so lange man lebt.
Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und ist Redaktionsleiterin von ORF.at.