Dreierkoalition: “Ganzheitlicher Ansatz ohne Prioritäten”

Politologin sieht ambitioniertes Programm, aber fehlende Reihung. Personell gebe es einen Wien-Niederösterreich-Überhang.
Schwarzach Österreich bekommt seine erste Dreierkoalition. Noch nie hat eine Regierungsbildung so lange gedauert, am Montag sind es 155 Tage. Dann sollen die Ministerinnen und Minister angelobt werden. Im VN-Interview spricht Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle über Ressortverteilung und die Tücken des Regierungsprogramms von ÖVP, SPÖ und Neos.
Was sind bisher die größten personellen Überraschungen für Sie?
KATHRIN STAINER-HÄMMERLE Bei den Neos gibt es eigentlich keine. Auch die ÖVP setzt durchgehend auf ihr bewährtes Team. Bei der SPÖ sind, glaube ich, manche selbst überrascht, wer jetzt was geworden ist und wer nicht. Alexander Wrabetz wurde zum Beispiel immer wieder gehandelt für Medien, Finanzen und scheint jetzt gar nicht im Team auf. Dass Markus Marterbauer Finanzminister wird, war wiederum ein kluger Schachzug von Andreas Babler. Nicht einmal die mächtige Wiener SPÖ kann etwas dagegen haben, wenn einer aus der Arbeiterkammer den Ministerposten bekommt.
Keine Vorarlbergerin, kein Vorarlberger gehört der neuen Regierung an. Ist das schlecht für die Repräsentation des Bundeslandes?
Stainer-Hämmerle Das war schon oft so. Dass zwei Minister aus Vorarlberg kamen, wie früher unter Schwarz-Grün, ist eine historische Besonderheit. Vorarlberg hat mit Magnus Brunner auch immer noch einen EU-Kommissar. Es ist schon günstig für das Land, wenn eine Ministerin, ein Minister immer wieder hier ist oder eine Verbindung hat. Aber ich hätte jetzt auch nicht das Gefühl gehabt, dass Brunner oder Johannes Rauch die föderale Fahne sehr hochhalten. Jetzt gibt es aber natürlich schon einen starken Übergang von Niederösterreich und Wien.

Warum braucht man sieben Staatssekretärinnen und -sekretäre, zum Teil in eigenen Ministerien?
Stainer-Hämmerle Zur Entlastung der Ministerinnen und Minister. Man darf nicht vergessen, dass die Neos ganz neu in der Regierung sind. Die SPÖ ist auch schon eine lange Zeit fort vom Geschäft, hat nun auch neues Personal. Es handelt sich zudem um ein extrem ambitioniertes Regierungsprogramm – wenn man alle Punkte durchgeht, die sie umsetzen wollen. Drei Parteien brauchen mehr Koordination, zudem gibt es auch einfach neue Themen. Den Staatssekretär für Deregulierung finde ich zum Beispiel spannend, da ist den Neos ein Akzent gelungen.
Bisher gab es ein grünes Klimaschutzministerium. Künftig wandern die Klimaagenden ein ÖVP-geführtes Ministerium für die Agenden Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz. Was ist das für ein Signal?
Stainer-Hämmerle Für die Grünen ist das bitter, keine Frage. Aber dass das Thema nicht mit der gleichen Intensität verfolgt wird, wenn sie nicht mehr in der Regierung sind, war absehbar. Es ist jetzt zur ÖVP gekommen, die sich schon das ganze letzte Regierungsjahr nicht als sehr klimaschutzaffin präsentiert hat. Da wird einiges gekürzt werden. Bei der Photovoltaik und beim Klimabonus ist es schon bekannt. Die Grünen haben aber keine so schlechte Position, denn für manche Materien braucht die Regierung eine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Iframely angezeigt.
Warum ist das Innenressort der ÖVP so wichtig, sogar wichtiger als das Finanzministerium?
Stainer-Hämmerle Ich glaube, es war ihr vor allem wichtig, dass es die FPÖ nicht bekommt – nach den Erfahrungen mit Herbert Kickl und der BVT-Razzia. Dazu kommt, dass es seit 2000 unter Ernst Strasser in ÖVP-Hand ist, bis auf die Kickl-Episode. Genau kann ich es nicht beantworten, aber mir scheint, dass die Diskussion einfach schon mit der FPÖ geführt wurde. Bei den nächsten Verhandlungen kann man dann nicht auf einmal alles wieder revidieren. Dass die ÖVP die Finanzen der SPÖ überlassen, hat vermutlich auch damit zu tun, dass man sich da wenig Lorbeeren abholen kann in den nächsten Jahren.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von APA Livecenter angezeigt.
Ist das Regierungsprogramm ein großer Wurf?
Stainer-Hämmerle Wenn sie alles umsetzen: Ja. Bei vielen Maßnahmen gibt es aber einen Budgetvorbehalt. Und ein Wurf in dem Sinne, dass eine komplett neue Richtung eingeschlagen wird, sehe ich auch nicht. Dafür ist es viel zu detailliert und zusammengeschustert. Was wir nicht wissen, ist, wie die ganzen Punkte im Programm priorisiert sind. Aber ich sehe es als ganzheitlichen Ansatz. Zum Beispiel bei der Zuwanderung, den Grenzen, ist vieles drinnen geblieben, was sicherlich der ÖVP wichtig war. Aber Neos und auch SPÖ haben ergänzend Integrationsmaßnahmen dazugestellt, beginnend beim Kindergarten, mehr Geld für die Schulen und so weiter. Man geht die Sache nicht nur von einer Seite an. Das finde ich eigentlich sehr positiv.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Iframely angezeigt.
In Deutschland ist ein Dreierbündnis krachend gescheitert. Welche Lehren kann Österreich daraus ziehen?
Stainer-Hämmerle Es ist vor allem an der FDP, an der Schuldenbremse, der Budgetdisziplin gescheitert. Ich habe aber das Gefühl, dass ÖVP, SPÖ und Neos schon aus den geplatzten ersten Gesprächen einiges gelernt haben für das zweite Mal. Die große Unbekannte bleibt für mich, wie gesagt, welche Ordnung die Punkte im Regierungsprogramm bekommen. Irgendwann muss man diese oft auch sehr vagen Ankündigungen und Pläne konkret ausgestalten, priorisieren und sagen, mit was man anfängt und was man erst macht, wenn es sich ausgeht und genug Geld vorhanden ist. Da lauern dann die Fallen.