Wahlbeteiligung: “Unter 50 Prozent ist ein Drama”

Die Vorarlberger Gemeindewahlen zeigen deutliche Unterschiede in der Wahlbeteiligung. Historiker Wolfgang Weber berichtet, woran das liegt und was man dagegen tun könnte.
Schwarzach Kennelbach ist Schlusslicht, Damüls hat die Nase vorne. Konkret geht es um die Beteiligung an den Gemeindewahlen. Nur knapp mehr 44 Prozent der Kennelbacher nutzten ihr Mitbestimmungsrecht, bei den Damülsern waren es fast 85 Prozent. Die Wahlbeteiligung sinkt bei den Vorarlberger Gemeindewahlen kontinuierlich. “Der große Schnitt war die Aufhebung der Wahlpflicht 2004, die 1919 geschaffen wurden”, erklärte Historiker Wolfgang Weber im Wahlstudio von VN, VOL.at und Ländle TV. Am Sonntag gab es einen leichten Aufwärtstrend: Die Wahlbeteiligung lag bei 54,3 Prozent. 2020 waren es 53,4 Prozent.
Die Wahlbeteiligung
Die höchste Wahlbeteiligung
Damüls (Einheitsliste) – 84,9 Prozent
Fontanella (Einheitsliste) – 82,3 Prozent
Schröcken (Mehrheitswahl) und Eichenberg (Einheitsliste) – 81,7 Prozent
Die geringste Wahlbeteiligung
Weiler (Einheitsliste) – 45,6 Prozent
Sulz (Einheitsliste) – 44,4 Prozent
Kennelbach (Einheitsliste) – 44,2 Prozent
Tirol und Vorarlberg waren übrigens die letzten Bundesländer, die die Wahlpflicht abgeschafft haben. Die Wahlbeteiligung brach damals von 88 auf 64 Prozent ein, berichtet Weber. “Die Unzufriedenheit hat nicht unbedingt mit der Politik zu tun, sondern mit den Politikerinnen und Politikern”, nennt Weber einen Grund. Der Wissenschaftler zählt weitere – erfreuliche – Gründe auf: “Es gibt zudem einen Zusammenhang zwischen ökonomischer Zufriedenheit und reduzierter Wahlbeteiligung. Zudem lassen sich Menschen weniger mobilisieren zur Wahl zu gehen, wenn es weniger Konflikte gibt.”
Allerdings zeigt der Unterschied zwischen den Gemeinden, dass auch die Mobilisierung und das Angebot entscheiden. Dabei gibt es einen Trend zu beobachten, wie Politikerinnen und Politiker punkten wollen: Namenslisten ohne direkten Parteibezug nehmen zu. “Diese waren schon immer hoch und lagen bei rund einem Drittel, beim letzten Mal waren es aber schon fast die Hälfte”, berichtet Weber. Weil gerade zu Gemeindepolitikerinnen und Gemeindepolitikern ein direkter Bezug herrscht, sei die Parteibindung für Wählerinnen und Wähler weniger relevant. “Kandidatinnen und Kandidaten erwarten daher, dass negative Trends in der Landes- oder auf Bundesebene in ihren Parteien nicht auf sie abfärben”, sagt Weber. Sein Befund von 70 Jahren Kommunalwahlgeschichte ist: Je kleiner die Gemeinde, desto höher die Wahlbeteiligung und umgekehrt. Der soziale Druck, positiv formuliert das Miteinander, wird höher geschätzt.
Angebot muss diverser werden
Doch auch bei der Diversität gibt es in Vorarlbergs Gemeindepolitikstuben Aufholbedarf. Frauen könnten sich weniger repräsentiert fühlen: Der Frauenanteil in Vorarlbergs Gemeindevertretungen liegt über alle 96 Kommunen hinweg bei 29 Prozent. Weber nennt einen weiteren Punkt: “Laut WHO haben zwischen zwölf und 15 Prozent der Menschen eine Behinderung, das sind rund 70.000 Menschen in Vorarlberg. In Feldkirch gab es 1956 den ersten Bürgermeister, der schwer behindert war. Aber prinzipiell sind sie in der Gemeindevertretung schlecht repräsentiert.”
Wahlfaule 30- bis 50-Jährige
Weber betont: “Dass es Regionen oder Kommunen gibt, die bei der Wahlbeteiligung unter 50 Prozent liegen, ist ein Drama. Auch wenn es seit 2004 keine Wahlpflicht mehr gibt, ist das ein Niedergang, der uns allen zu denken geben sollte.” Eine “Problemgruppe” der Wahlfaulen identifiziert Weber im Rahmen von wissenschaftlichen Erhebungen bei den 30- bis 50-Jährigen. “Hier müssen wir mehr Überzeugungsarbeit leisten.” Denn auch aufgrund der Briefwahl sei eine Wahl kein großer zeitlicher Aufwand mehr. “Offensichtlich ist es uns nicht gelungen, dieser Generation zwischen 30 und 50 zu erklären, wie hoch die Bedeutung der Mitbestimmung ist, auch für den positiven wirtschaftlichen Fortgang”, sagt er. Denn Demokratie bedeutet Arbeit am Gemeinwesen.