Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Kommentar: Nicht Kickl reicht nicht

Politik / 28.03.2025 • 11:25 Uhr

Wenn ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, frage, wofür unsere neue Bundesregierung eigentlich steht – also inhaltlich, weltanschaulich, strategisch –, dann kommt Ihnen wie mir vermutlich nur ein einziger Gedanke: Sie ist nicht Herbert Kickl. Das war´s dann auch schon. Kein großes Projekt, kein kollektives Ziel, keine inspirierende Vision – bloß ein reflexhaftes Wegducken vor einem Mann mit psychopathologischen Zügen. Alles andere: Staffage. Oder, in biblischer Sprache, die Fassade des Pharisäers: moralisch überhöht, politisch leer.

Natürlich, es gibt eine Budgetsanierung. Das ist löblich, aber keine Heldentat, vielmehr die Pflichtübung des braven Buchhalters. Damit öffentlich zu prahlen, wiegt so viel, wie wenn jemand das Händewaschen nach dem Toilettengang als Charakterleistung verkauft.

Gute Reden, das wissen wir, haben maximal drei Punkte. Ich versuche, mit dem Privileg des Außenstehenden, für diese Regierung drei Leuchtturmprojekte zu identifizieren. So nennt man das ja geflissentlich. Drei kleine Feuer in einem Meer aus Mittelmaß.

Erstens: Migration

Die Entschleunigung des Familiennachzuges, auf die man sich mühsam einigen konnte, ist ein Tropfen und juristisch ein Topfen. Dabei wäre eine echte Migrationsstrategie nötig: eine, die schützt – nämlich Asylwerber vor Bedrohung durch Krieg, Diktatur und Hungertod; eine, die fördert – nämlich die Republik mit Talenten, die das Land braucht; und eine, die fordert – nämlich die Zuziehenden mit Integrationspflichten statt multikultureller Romantik. Aber dazu bräuchte es Gestaltungswillen, eine Ressource, die im Wiener Regierungsviertel (und den Landeshauptstädten von Bregenz bis Eisenstadt) nicht einmal mehr als Mangelware gilt, vielmehr als folkloristischer Mythos aus der Kreisky-Zeit.

Zweitens: Bildung

Das Lieblingsspielfeld aller Sonntagsredner. Leistung, sagen die einen. Gerechtigkeit, rufen die anderen. Beide haben recht und beide scheitern. Denn in Wahrheit ist die Bildungspolitik eine Mischung aus Verlegenheit, föderaler Selbstblockade und ideologischen Geisterfahrern. Martin Polaschek konnte ohne Rückhalt wenig wandeln. Sein Nachfolger Christoph Wiederkehr verfügt als Neos-Mann über die Hausmacht für ein Fahrradministerium. Dazwischen: eine Lehrerschaft, die brennt – entweder für die Sache oder innerlich aus. Wenn „Leistung“ dreimal gesagt wird, klingt es wie eine Beschwörungsformel. Wenn „Gerechtigkeit“ dreimal wiederholt wird, wie eine letzte Hoffnung. Beides zusammen ist Politik. Getrennt ist es PR.

Drittens: Verteidigung

Ein Land, das sich selbst mit einem Märchen beruhigt: der „immerwährenden Neutralität“. Wer glaubt, man könne 2025 noch außenpolitisch auf Trittbrettfahrer machen, hat nichts aus dem Ukrainekrieg gelernt. Die Neutralität, wie wir sie praktizieren, ist nicht nobel. Sie ist feig und gefährlich. Um Nietzsche zu bemühen: „Der Irrsinn ist bei Einzelnen selten, aber bei Gruppen, Parteien, Völkern die Regel.“ Verteidigungsministerin Claudia Tanner wirkt wie eine Statistin im falschen Film. Hoffnung macht ausgerechnet die frisch gefangene Außenministerin. Sie ist diskurserprobt, daher das Gegenteil ihres Vorgängers, des Diplomaten. Ein Funken Hoffnung im sicherheitspolitischen Blindflug.

Am Ende bleibt als Befund: Diese Regierung gestaltet nicht, sondern verwaltet. Sie verhindert nur Schlimmeres. Sie ist nicht das Licht am Ende des Tunnels, sie ist der Tunnel selbst. Ein beamteter Tunnel, durch den man sich irgendwie durchzuwursteln gedenkt, bis am anderen Ende wieder Kickl wartet. Und dann wird man sagen: Das war also die Alternative? Dann war’s das mit der Republik.