Kommentar: Weniger Abgehobenheit!
Repräsentieren unsere Abgeordneten im Parlament die Bevölkerung? Nein, sagt eine Untersuchung des gewerkschaftsnahen Instituts Momentum. Manche Berufe sind überhaupt nicht vertreten, etwa Handwerker und Montageberufe. Was waren das noch Zeiten, als ein Fliesenleger wie Manfred Rein, der einst selbst noch „geplättelet“ hat, viele Jahre Landesrat war! Andere Gruppen wie Landwirte sind überrepräsentiert: acht Prozent gegenüber drei Prozent Anteil an der Bevölkerung. In der ÖVP sind sogar 18 Prozent der Abgeordneten Landwirte. Die sind offenbar sehr geübt in der Vertretung der eigenen Interessen, aktuell in der Diskussion über das Mercosur-Abkommen mit südamerikanischen Ländern. Während die Wirtschaft händeringend nach Alternativen für den wegbrechenden Absatzmarkt USA sucht, eben in Südamerika, blockiert die Bauern-Lobby Mercosur.
Völlig überrepräsentiert im Parlament sind Leute in Führungspositionen (60 Prozent gegenüber fünf Prozent Anteil an der Bevölkerung). Generell führt das Ungleichgewicht zu wachsendem Misstrauen gegenüber der Politik. Die Abgehobenheit vieler Politiker ist kein Randphänomen mehr, sondern ein zentraler Faktor von Unzufriedenheit. Sie trägt zur Spaltung zwischen denen „da oben“ und dem Wahlvolk „da unten“ bei. Die Abgehobenheit äußert sich in fehlender Alltagserfahrung, elitärem Sprachgebrauch und dem Eindruck, dass politische Entscheidungen fernab der Lebensrealität getroffen werden. Es gibt ernstzunehmende Analysen, dass die „Woke-Debatte“ spürbaren Einfluss auf den Erfolg von Donald Trump hatte. Also eine Debatte, die erhöhte Sensibilität für Diskriminierung und soziale Gerechtigkeit wollte, aber oft in Moralisierung und Intoleranz umgeschlagen hat. Etwa durch die Gender-Debatte, die für viele gegenüber den wirtschaftlichen Sorgen einen zu hohen Stellenwert hat. Das hat sich Donald Trump ebenso zunutze gemacht wie Marie Le Pen, Alice Weidel oder Herbert Kickl. Ein gutes Beispiel für die Wahrnehmung von Abgehobenheit war die Ibiza-Affäre 2019. Der Eindruck, dass führende Politiker bereit sind, demokratische Prinzipien für persönliche Vorteile zu verraten, hat das Vertrauen in die Politik erschüttert. Oder die Chats aus dem Kanzleramt unter Sebastian Kurz, geprägt von Taktik und Postenschacher.
Die politische Klasse steht vor der Aufgabe, Nähe, Ehrlichkeit und Wirksamkeit wieder glaubhaft zu vermitteln. Sonst droht ein weiterer Vertrauensverlust, der die Demokratie nachhaltig beschädigt, wie gerade in den USA. Das hat offenbar der neue Kanzler Christian Stocker verinnerlicht. Dessen unaufgeregter Stil ohne Effekthascherei führt zu ungewöhnlich wohlwollenden Kommentaren auch sehr kritischer Medien. Wenn dazu noch das Bekenntnis käme, dass seine Partei uns bezüglich der Budgetsituation hinters Licht geführt hat, würde das die Glaubwürdigkeit erhöhen. Oder Finanzminister Markus Marterbauer. Der macht aus seiner Präferenz für Umverteilung durch Vermögenssteuern kein Hehl, sagt aber: Kommt nicht, weil nicht im Regierungsübereinkommen. Das nennt man Handschlag-Qualität. Stattdessen meint er zur Budget-Konsolidierung. „Alle müssen einen Beitrag leisten“. Alle. Heißt: Wir müssen uns unser Anspruchsdenken abgewöhnen. Wenn da nicht sofort die Reflexe der Lobbyisten wären. Allen voran die Vertreter der Pensionisten, die jede Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge ablehnen. Die Landeshauptleute: „Wir brauchen keine Zurufe aus Wien“. Wenn Sankt Florian weiterhin so grüßt: Wie soll das Budget ins Gleichgewicht kommen?
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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