ÖGK in Turbulenzen: Ist meine Versicherung noch sicher?

Politik / 22.04.2025 • 10:13 Uhr
  APA
 Die ÖGK schlitterte in finanzielle Schwierigkeiten. APA

Der ÖGK droht ein Defizit von über 900 Millionen Euro. Was bedeutet das für die Versicherten? Und wie kam es so weit?

Schwarzach Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) steckt tief im Minus. Auch sie könne in Konkurs gehen, sagte Andreas Huss, einer der beiden ÖGK-Obmänner. Er wechselt sich in seiner Position alle sechs Monate mit Peter McDonald ab. Dieser kündigte bereits Sparmaßnahmen an und forderte einen Solidarbeitrag der Ärzteschaft. Die Ärztekammer konterte daraufhin mit der Forderung, einen professionellen Sanierer in die Kasse zu schicken. Wie geht es der ÖGK aber tatsächlich? Was bedeutet die finanzielle Misere für die Versicherten? Die VN bieten einen Überblick.

ÖGK in Turbulenzen: Ist meine Versicherung noch sicher?
Andreas Huss hat einen Konkurs nicht ausgeschlossen. APA

Wie steht es um die Finanzen der ÖGK?

„Die finanzielle Lage ist ernst“, heißt es aus der Kasse auf VN-Anfrage. Die ÖGK rechnet für heuer mit einem Minus von 906 Millionen Euro. Bei einem Gesamtbudget von 21 Milliarden ist dies ein Defizit von 4,29 Prozent.

Wie kam es so weit?

Die ÖGK begründet das wie folgt. Erstens: Die Rezession sorgt für mehr Arbeitslosigkeit, wodurch die Beitragseinnahmen sinken. Zweitens: Die Bevölkerung wird älter. Die Zahl der Arztbesuche steigt. Drittens: Leistungen werden immer mehr aus den Spitälern ausgelagert. Für ambulante Leistungen ist die ÖGK finanziell zuständig.

ÖGK in Turbulenzen: Ist meine Versicherung noch sicher?
Peter McDonald lieferte sich mit der Ärztekammer einen Schlagabtausch. APA

Kann es tatsächlich sein, dass die ÖGK Insolvenz anmeldet?

Ein klares Nein gibt es seitens der ÖGK dazu nicht. Nur so viel: „Die ÖGK hat die gesetzliche Aufgabe, die Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Um diesen Auftrag ausführen zu können, braucht es die entsprechenden finanziellen Mittel. Auch eine Unterstützung durch den Bund ist hier denkbar.“ Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) wird schon klarer: Da die ÖGK eine Körperschaft öffentlichen Rechts ist, sei die Finanzierung abgesichert. Steigen die Defizite aber zu stark an, habe die Politik – die Sozialministerin als Aufsichtsorgan – einzuschreiten. Der langjährige Arbeiterkammerdirektor Rainer Keckeis, der sich im Zuge der Kassenfusion stark für die Landeskasse gemacht hatte, sieht in der Insolvenz keine Option. „Das ist undenkbar.“

Wie sicher können sich die ÖGK-Versicherten noch fühlen?

„Die Versicherung ist absolut sicher“, sagt Keckeis. Auch seitens der ÖGK wird beruhigt. „Die ÖGK stellt sicher, dass die Versicherten, die eine medizinisch notwendige Leistung benötigen, diese bekommen. Das wird auch in Zukunft so sein, allerdings braucht es Steuerungsmaßnahmen.“ Czypionka sieht hier Potenzial: Die Absichten der Gesundheitsreform 2024 seien richtig, nun müsse man sie umsetzen. Bei der Patientenlenkung sei einiges machbar. „Es kann nicht sein, dass Leute mit Darmbeschwerden, die etwa Morbus Crohn haben, jahrelang durch das System tingeln müssen, weil sich niemand richtig zuständig fühlt. Das Verzögern von zielgerichteter Diagnose und Therapie kostet uns viel.“ Ein weiterer negativer Effekt: Die Krankheit könne fortschreiten, wenn über Jahre nicht gehandelt werde. Czypionka sieht auch Potenziale bei Leistungen, die nur einen geringen Nutzen bringen. Bei Überweisungen könnte ein elektronisches System helfen, um Zuweisungen treffsicherer zu machen. Ein System, das Doppeluntersuchungen verhindert, sei in Arbeit.

Czypionka neu
Czypionka sieht viele Potenziale im Gesundheitssystem. Bruckberger medonline

Ist es denkbar, dass die ÖGK gewisse Finanzierungen streichen muss?

„Medizinisch notwendige Leistungen stehen nicht zur Debatte“, hält man seitens der ÖGK fest. Es gebe sicherlich das ein oder andere, das nicht zwingend notwendig ist – von ärztlichen über physiotherapeutische Leistungen bis hin zu gewissen Medikamenten, sagt Czypionka.

Warum steht die ÖGK schlechter da, als die Kasse für Beamte oder Selbständige?

Die ÖGK zählt 7,6 Millionen Versicherte, darunter alle unselbstständig Beschäftigten, aber auch Pensionisten, Arbeitslosengeldbezieher und Asylwerber. Das heißt, das Risiko ist gänzlich anders gestreut. Die Kostenersätze der öffentlichen Hand bilden häufig nicht den Vollaufwand für die Versicherten in Pension, Arbeitslosigkeit oder im Asylverfahren ab. Hinzu kommt, dass die Einkünfte von Beamten und Selbstständigen durchschnittlich höher sind, was der Kasse mehr Einkommen beschert, beschreibt Czypionka. Auf der Ausgabenseite ist es so, dass Beamte in der Regel ein geringeres gesundheitliches Risiko tragen als unselbstständig Beschäftigte. Selbstständige verbrächten zudem durchschnittlich weniger Zeit im Krankenstand. Und: Sowohl bei der BVAEB als auch bei der SVS zahlen die Versicherten Selbstbehalte.

Feldkirch am 20.4.2023 PK Pressekonferenz AK Arbeiterkammer Vora
Rainer Keckeis kritisierte die Art der Kassenfusion. Die Arbeitnehmerversicherung sei in Arbeitgeberhand gekommen und Priviligien seien aufrecht erhalten worden. “Alles kostet mehr und bringt nichts”, sagt Keckeis.

Könnten BVAEB und SVS einen Solidarbeitrag leisten?

Nein. „Es wäre zwar sinnvoll, wenn alle Versicherten in Österreich füreinander einstehen“, betont Czypionka. Der Verfassungsgerichtshof habe aber ausgeschlossen, dass es von einer Versicherung zur anderen eine Art Solidarbeitrag geben könne, da es sich um unterschiedliche Versichertengemeinschaften handle.

Könnte es in der ÖGK zu Selbstbehalten kommen?

Eine Diskussion darüber müsse erlaubt sein, erklärt Rainer Keckeis. Er habe es zum Beispiel für absolut notwendig gehalten, dass der Krankenversicherungsbeitrag bei den Pensionisten erhöht werde. Czypionka sieht in Selbstbehalten einen Kompromiss, „bevor ich Leistungen ganz abschaffe“. Selbstbehalte solle es nur für Leistungen geben, die man nicht zwingend brauche. „Es macht keinen Sinn, wenn Versicherte beim Allgemeinmediziner Selbstbehalte zahlen müssen.“ Schließlich wolle man ja, dass sich die Menschen hin und wieder anschauen lassen.