Kommentar: Verhinderungskultur
Österreich hat es trotz einer katastrophalen Ausgangslage nach dem zweiten Weltkrieg innerhalb von zwei Generationen in Sachen Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit und soziale Sicherheit an die Weltspitze geschafft. Darauf stolz zu sein, ist unsere Sache offenbar nicht. Zumeist überwiegt das typisch österreichische Sudern über eigentlich alles, insbesondere aber über alles Neue. Sei es ein Handelsabkommen – eigentlich die Grundlage unseres Wohlstands – eine Infrastrukturmaßnahme, oder einfach nur eine klassische unternehmerische Expansionsbestrebung, und auf der Stelle stehen die Bedenkenträger parat. Sie wissen immer, was nicht geht. Individuelle Ansprüche werden generell hoch bewertet, gesamtgesellschaftlicher Nutzen eher gering geschätzt. Hätten es die Generationen vor uns auch so gehalten, wären wir heute noch ein rückständiges Agrarland mit niedrigerem Lebensstandard.
Heute, aus einer Position des vermeintlichen Wohlstands heraus, ist es für viele Menschen nicht akzeptabel, dass in der Nachbarschaft Wohnungen gebaut werden, sich Firmen ansiedeln oder gar eine Straße gebaut wird. Das könnte schließlich ihre Schrebergartenidylle stören. Dabei ist das Vorarlberger Rheintal längst auf dem Weg zu einem großen urbanen Raum und kein Naturschutzgebiet, wo um jeden Quadratmeter Boden ein Glaubenskrieg notwendig ist.
Ganz schräg wird es, wenn man das Projekt Stadttunnel Feldkirch betrachtet. Nach jahrelanger Planung unter Einhaltung aller rechtlicher Vorgaben wurde es bewilligt und kostet jetzt, nachdem die Gegner juristisch auf allen Ebenen verloren haben, wegen der Zeitverzögerung um 50 Millionen Euro mehr. Das ist der Preis, den man in einem Rechtstaat in Kauf nehmen muss. Es ist sicher nicht falsch, für eine Sache zu kämpfen und sich zu engagieren. Wenn man aber demokratisch und juristisch unterliegt, müsste das Ergebnis eigentlich akzeptiert werden. Das sehen heute viele Menschen – leider auch manche Politiker – anders, weil sie ja Recht haben, egal was das Recht oder die demokratische Mehrheit sagen.
Wir bewundern zwar, wenn die Chinesen in vier Monaten ein Krankenhaus aus dem Boden stampfen, haben aber kein Problem damit, dass bei uns jedes mittelgroße Projekt zumindest drei Jahre Planungsvorlauf benötigt. Dazu kommen heute zumeist noch Einsprüche und langwierige Verwaltungsverfahren. Das kostet viel Geld, bringt letztlich nicht viel und befriedigt höchstens die damit befassten Planungsbüros und Anwälte. Die Lösung kann nur lauten, weniger Bürokratie, mehr Spielraum und Eigenverantwortung für jene, die etwas unternehmen wollen. Eine klare Absage an die herrschende Verhinderungskultur ist notwendiger denn je.
Rainer Keckeis ist ehemaliger AK-Direktor Vorarlberg und früherer Feldkircher VP-Stadtrat.
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