Kommentar: Verhandeln mit Zynikern, Feiern mit Illusionen

Wenn du beginnst, Wien zu erobern, erobere Wien!
Napoleon
Die Euphorie über den Gaza-Waffenstillstand ist verständlich: Geiseln kommen frei, Bomben schweigen, Familien atmen auf. Aber sie ist auch gefährlich. Sie macht blind für das Offensichtliche: Nichts ist in trockenen Tüchern. Waffenruhe ist kein Friedensvertrag, sondern eine Pause. Wer jetzt Triumph meldet, verwechselt Chance mit Ergebnis.
Zwei Texte aus der “Washington Post” markieren die Fronten. George F. Will applaudiert Israels Armee und Benjamin Netanyahu. Seine Botschaft: Krieg gewinne, wer ihn rücksichtslos führe; “Verhältnismäßigkeit” sei Luxus. Der Einstieg mit Napoleon – “Wenn du beginnst, Wien zu erobern, erobere Wien!” – setzt auf totale Zielerreichung. Max A. Boot widerspricht: Die Waffenruhe führt nicht zu dauerhaftem Frieden, weil Netanyahus Koalition ihn gar nicht will und mit Siedlungsplänen sowie institutioneller Demontage Fakten schafft.
Beide Perspektiven tragen einen Teil der Wahrheit. Militärische Durchsetzungsfähigkeit war Voraussetzung jeder Verhandlung. Aber genau diese Logik zementiert den nächsten Krieg, wenn sie nicht vom politischen Willen zum Ausgleich begleitet wird. Wer heute jubelt, soll auch die Dealer benennen: USA, Katar, Ägypten. In Österreich meldet sich Sebastian Kurz prompt, schimpft auf “die Linken” und adelt Trump.
Die entscheidende Frage lautet: Wozu dient diese Pause? Dient sie nur Gefangenentausch, Innenpolitik in Jerusalem und Washington, Trumps Selbstverherrlichung und der taktischen Neuformierung von Hamas, bleibt sie das Vorspiel zum nächsten Akt. Nur verifizierbare Sicherheitsgarantien, humanitäre Korridore, eine Governance-Roadmap für Gaza und klare Leitplanken auf der Westbank machen daraus einen Prozess. Davon ist vorerst wenig zu sehen.
Symptomatisch ist die Liste der Freigelassenen. Es fehlt der politisch folgenreichste Name: Marwan Barghouti – kein Hamas-, sondern Fatah-Führer, seit 2004 inhaftiert. Er könnte Legitimität jenseits der Milizen bündeln. Sein Verbleib im israelischen Gefängnis signalisiert: Eine verhandlungsfähige palästinensische Führung ist nicht erwünscht. So verhindert man keine Radikalisierung, man verwaltet sie.
Auch in Israel bestimmen innenpolitische Kalküle die Außenrealität. Eine Koalition, die auf Siedlerparteien und maximalistische Rhetorik angewiesen ist, öffnet kaum die Territorial- und Rechtsfragen, die Frieden verlangen. Humanitäre Schritte werden als Schwäche ausgelegt, juristische – oft zu Recht – als Belohnung des Terrors. Auf palästinensischer Seite ersetzt die Logik von abscheulichem Terror Politik und macht Zivilisten zu Geiseln beider Lager. Es entsteht die Maschine der endlosen Gegenwart: genug Gewalt, um Hoffnung künstlich kleinzuhalten, genug Hoffnung, um Gewalt fadenscheinig zu rechtfertigen.
Österreichs Beitrag sollte Präzision sein, nicht Pose. Keine Jubelmeldungen, sondern Bedingungen: Stopp des Siedlungsfortschritts; international garantierter Institutionenaufbau in Gaza; kontrollierte Entwaffnung unter glaubwürdiger palästinensischer Autorität; überprüfbare Garantien für Israels Sicherheit; und ein Zeithorizont für politische Rechte, der den Namen verdient. Das ist kein Romantizismus, das ist Realismus.
Euphorie ist erlaubt. Selbstbetrug nicht. Wer Frieden will, muss die “rechte” Illusion beenden, dass Stärke allein genügt – und ebenso die “linke” Illusion, man könne ohne Stärke verhandeln. Der Waffenstillstand ist ein notwendiger Atemzug. Ob er mehr wird, entscheidet nicht die Zahl der Kameras von heute, sondern die Zahl der Bedingungen, die morgen halten. Das ist die Probe auf die Ernsthaftigkeit. Punkt.