Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Neutralität mit der Mistgabel

Politik / 21.11.2025 • 08:54 Uhr

Man muss die Österreicher schon mögen: 73 Prozent sind für die Wehrpflicht, aber nur rund ein Drittel wäre bereit, das Land mit der Waffe zu verteidigen. So – ja, liebe Leserinnen und Leser – das Ergebnis einer stolz präsentierten Umfrage des Verteidigungsministeriums.

Das ist nicht die „umfassende Landesverteidigung“, zu der sich die Republik in der Verfassung bekennt, sondern eine Art betreutes Katastrophenmanagement mit Tarnanzug. Geistige Landesverteidigung heißt hierzulande offenbar: Bitte alles so lassen wie immer, aber ohne persönliches Risiko!

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner verkauft diese Schieflage als „klare Bestätigung“ ihres Kurses seit der Volksbefragung von 2013. Damals wurde eine sicherheitspolitische Grundsatzfrage per Stimmzettel erledigt, wie einst das Atomkraftwerk Zwentendorf: Wahlkampfinstrument statt Strategie. Die ÖVP entdeckte das Milizheer als demokratische Wunderwaffe und die SPÖ, historisch gegen ein Berufsheer, turnte aus wahltaktischen Gründen in die andere Richtung. Übrig blieb eine Kompromiss-Neutralität, die man in Sonntagsreden „bewaffnet“ nennt und im Alltag mit dem Rotstift verteidigt.

Die Verfassung verlangt, verkürzt, ein Heer, das Unabhängigkeit, Neutralität und demokratische Freiheiten schützt – militärisch, geistig, zivil und wirtschaftlich.

Die Umfrage sagt: Die meisten wollen, dass irgendwer anderes das macht. Am liebsten im Rahmen eines Katastropheneinsatzes. Wenn es wirklich ernst wird, greifen wir offenbar doch lieber zur Mistgabel als zum Sturmgewehr, zum Traktor statt zum Panzer, zum Sandsack statt zur Munition. Österreich als große Freiwillige Feuerwehr Europas: ausrücken ja, schießen nein. Die berühmte „immerwährende Neutralität“ schrumpft so zur moralischen Ausrede, nicht einmal gedanklich in den Verteidigungsfall zu müssen.

Dass Tanner diese Zahlen als Triumph verkauft, ist die eigentliche Pointe. Eine Verteidigungsministerin, die aus einer Mehrheit für „Wehrpflicht, aber bitte ohne mich“ eine Stärkung der Wehrhaftigkeit abliest, argumentiert gegen die Logik der eigenen Verfassung. Wer eine „wehrhafte Demokratie” will, muss erklären, wofür sie notfalls Gewaltmonopol und Waffen tatsächlich einsetzt. Österreich aber hält sich lieber an die folkloristische Version: immerwährende Neutralität, aber mit Fototermin am Heldenplatz statt mit ernsthafter Debatte über Bedrohungen, Bündnisse und Fähigkeiten. Die Leistungsschau ersetzt das Konzept, der Panzer am Nationalfeiertag die unangenehme Frage, wer ihn im Ernstfall bemannen will.

Die neu entdeckte Liebe zur Wehrpflicht ist in Wahrheit die Fortsetzung der österreichischen Schizophrenie mit anderen Zahlen. Man wählt Neutralität, weil sie nichts kostet. Man hält an der Wehrpflicht fest, weil man sie selbst nicht mehr leisten muss. Man verlängert den Grundwehrdienst, damit in den Kasernen genug Hände da sind, um Hochwasserfolgen wegzuräumen, Lawinenabgänge zu sichern und im Notfall noch schnell eine Impfstraße zu betreiben. Verteidigungspolitik als ausgelagerter Katastrophendienst: ehrenwert, nützlich – und im Falle eines Angriffs wertlos.

Das alles kann man machen. Man sollte dann nur aus der Verfassung streichen, was man erkennbar nicht ernst meint. Oder wenigstens zugeben, dass Österreich seine Sicherheitspolitik an den Produkten aus dem Lagerhaus orientiert. Zur Not verteidigt man die immerwährende Neutralität saisonabhängig eben mit dem Laubrechen oder der Schneeschaufel. Hauptsache, niemand muss sich die Frage stellen, ob er im Namen dieser Neutralität tatsächlich schießen würde. Die Antwort kennen wir jetzt: zwei Drittel sagen nein – und sind trotzdem sehr zufrieden mit der Wehrpflicht.