Slowakisches UNESCO-Kulturerbe

Die Tatra erfährt einen Wandel von der Ski- und Bergsteigerdestination zum Kulturziel.
Reise. (VN-C. Schreiber) Der Mann vor uns rutscht auf den glatten Platten weg, kann gerade noch die Hand seiner Frau ergreifen und einen Sturz vermeiden. „Achtung, sonst purzeln Sie runter“, ruft ein Aufseher, der gerade Karten am Eingang der Zipser Burg abreißt, die einen spektakulären Blick auf die Zacken der slowakischen Hohen Tatra bietet. Es bleibt der einzige Ausrutscher, obwohl die Steine von Schuhsohlen aus aller Welt gefährlich blank poliert sind. Das war nicht immer so, denn erst in den letzten Jahren erlebt die Tatra einen längst überfälligen Wandel: Weg von der reinen Ski- und Bergsteiger-Destination, hin zum Top-Kulturziel. Schließlich vergab die UNESCO in einem Umkreis von 100 Kilometern gleich fünfmal den Titel Weltkulturerbe. Auch die Zipser Burg, die zu den größten in Europa zählt, hat das Prädikat erhalten. Seit 1000 Jahren krallen sich die meterdicken Mauern an einen Travertinfelsen.
Eine bewegte Geschichte
Die bewegte Geschichte kann man am Epochen-Mix der einzelnen Komplexe ablesen: Den steinernen Wohnturm aus dem 12. Jahrhundert erweiterten die Herrscher gut 100 Jahre später um ein romanisches Herrenhaus, es folgte eine spätgotische Kapelle, bevor der Komplex zum Sitz einer reichen Familie wurde, die das Meiste auf Renaissance trimmte. Ihren ganz eigenen Charme hat die Zipser Burg aber, weil die Slowaken einen lockeren Umgang mit ihrem historischen Erbe pflegen. Die Security-Leute sind zu Scherzen aufgelegt, Souvenir-Laden und Töpferstudio befinden sich nicht am Ausgang oder auf dem Parkplatz, sondern im zentralen Innenhof, wo laut UNESCO eigentlich keine Veränderungen erlaubt wären. Und die einheimischen Besucher feiern im integrierten Café ein ganz anderes Kulturgut: Kofola – die slowakische Antwort auf Coca Cola.
Als die Bedienung mit den vollen Gläsern kommt, applaudieren alle, trinken zügig leer, und stapfen Koffein-gestärkt über die Treppen und Stufen. Erst seit 30 Jahren dürfen Besucher wieder zur Zipser Burg hinaufsteigen, wo sie dann ihre langen Tele-Objektive auspacken und die imposanten Gipfel der Hohen Tatra fotografieren, die gut 30 Kilometer entfernt sind.
Basis für Tagesausflüge
Direkt am Fuße der schnebedeckten Berge, die fast 3000 Meter in den Himmel ragen, wohnen die meisten Tatra-Touristen. Die Hotels sind eine gute Basis für Tagesausflüge zu den naheliegenden UNESCO-Stätten. Es gibt mehr als 10.000 Zimmer, gerade in der Nebensaison, wo keine Ski- und Bergsportler kommen, sind die Preise günstig. Hinter den Hotelmauern verbergen sich komfortable Spa-Anlagen und vornehme Restaurants. Obwohl es bedeutende Touristenzentren in der Tatra gibt, sind die Städte klein und beschaulich. Leutschau (Levoča) bringt es gerade mal auf 14.000 Einwohner, darf sich aufgrund seiner kunsthistorischen Schätze aber mit dem UNESCO-Titel schmücken. Unbestrittener Höhepunkt ist der größte gotische Flügelaltar der Welt mit knapp 19 Metern in der St.-Jakobs-Kirche. Der Hauptplatz ist umzingelt von tipptopp restaurierten Fassaden der Adels- und Bürgerhäuser. Blutrote Anstriche, reiche Sgrafitti und Giebelzinnen prallen auf den Stil der italienischen Renaissance. Es gibt überraschend viele Cafés, sobald ein Sonnenstrahl durch die hohen Häuserfronten dringt, sitzen die Menschen draußen, trinken Espresso, der überall mit großen Schildern beworben wird. Es lauern keine Touristenfallen, das kleine Tässchen schmeckt wie Italien, kostet wie Slowakei.
Die berühmten Holzkirchen
In Käsmark (Kežmarok) lohnt der Besuch der evangelischen Holzkirche, die wie ein umgekipptes Schiff mit Bullaugen auf einer Wiese liegt. Von außen sieht sie karg aus, der Innenraum offenbart ein unvergleichliches Kirchenerlebnis. Die üppigen bunt-barocken Schnitzereien, reich verzierte Holzwände und eine strahlend blaue Decke, von der putzige Schäfchenwolken blinzeln, nehmen der dunklen Kirche ihre düstere Stimmung. Die Aufseherin erinnert nachdrücklich an die Einhaltung der strengen Regeln („Fotografier-Verbot“, „Stille bewahren“, „Hier nicht sitzen“), sie selbst hat aber Narrenfreiheit und präsentiert Fan-Artikel von der Tasse bis zum T-Shirt. Zum Abschied preist sie ihre Postkarten an, aber draußen wartet schon die nächste Gruppe. Schließlich gehören die Tatra-Holzkirchen zum Pflichtprogramm.