Der Paradiesvogel als Vorbild

Bunte Vögel, Körperkunst und eine Menge Rituale in Papua Neuguinea.
reise. (Heimfried Mittendorfer) Wenn man von Papua Neuguinea spricht, werden meist automatisch Querverbindungen zum wohl berühmtesten Vogel des Landes, dem Paradiesvogel hergestellt, der nicht nur die Nationalflagge ziert, sondern auch das Emblem der nationalen Luftlinie bildet. Nicht unberechtigt wird hierin ein gewisser Nationalstolz zur Schau getragen, denn von den 42 auf der Welt existierenden Arten sind sage und schreibe 38 endemisch. Die Besonderheit des männlichen Erscheinungsbildes dieses Vogels beruht in der Farbenpracht seines Gefieders, speziell aber in den bis zu einem Meter langen Schwanzfedern. Angeregt von den Balzritualen und den damit verbundenen Verwandlungskünsten dieser Vögel, versuchen die Menschen in Papua Neuguinea – ganz besonders die Männer – es zu besonderen Anlässen im Schmücken ihres Körpers den Vögeln gleich zu tun. Dabei sind ihrem Einfallsreichtum sowie ihrer Kreativität anscheinend keine Grenzen gesetzt.
Wer heute diese archaische Lebensweise und Kultur der Bewohner Papua Neuguineas im Alltag sucht, wird leider nicht mehr zufriedenstellend fündig werden. Zu sehr hat auch hier die Moderne ihre Fühler ausgestreckt, so dass unter den ca. 1000 Stämmen des Landes seit Jahrzehnten schrittweise eine Vernachlässigung der uralten Traditionen zu verzeichnen ist. Wir sind gerade auf der Karawari Lodge angekommen, mitten in der Wildnis, umgeben von unüberschaubarem Regenwald, etwa 100 Meter über dem Karawari-Fluss, hoch im Norden des Inselstaates. Zur Lodge gibt es keine Straßenverbindungen, sodass für die Anreise nur Boot und Flugzeug infrage kommen.
Obwohl Stephen, der Kellner der Lodge täglich seine dörfliche Welt verlässt und in die moderne Welt der Lodge wechselt, hinterlässt er einen mehr als zufriedenen Eindruck. Er führt gleichsam ein Leben in zwei Welten. Kontrastreicher könnten Gegensätze einem wohl nicht mehr serviert werden. Noch bei Dunkelheit macht er sich von seinem stromlosen Heim auf den Weg. Nach einer 30-minütigen, nicht ungefährlichen Paddeltour per Einbaum, – der Karawari gilt als krokodilverseucht – kann er in der technisierten Welt der Lodge seiner Arbeit nachgehen. Eben noch im Lebensstandard um Jahrzehnte zurückversetzt, ein wenig später in der Moderne, wo der Umgang mit Computer, Handy und Funkgerät bereits zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Auch an die tägliche Umstellung von kargen Lebensverhältnissen zum Komfort bis Luxus in der Lodge, von zerfetzter Short und zerschlissenem T-Shirt zum adretten Kellner-outfit hat er sich längst gewöhnt.
Auf alle Fälle sollte man versuchen, den Aufenthalt auf Papua Neuguinea so zu timen, dass ein Besuch eines „Singsings“ (Tanzfestival) möglich ist. In Palembai, einem der ältesten Dörfer am Mittellauf des Sepik-Flusses, werden wir Zeugen des ersten Festivals dieser Region. Zwei riesige Tambaran-Häuser, die das Dorfbild beherrschen, stehen einander gegenüber, dazwischen eine große Rasenfläche, die als Tanzplatz dient. Inzwischen haben etwa 20 verschiedene Gruppen der mittleren Sepik-Region mit ihren Tänzen begonnen. Die Farbenpracht und die Ausdrucksstärke der mit Inbrunst agierenden Tanzgruppen sind eine Augenweide und versetzen die unzähligen Zuschauer in Hochstimmung.
Jugend geht neue Wege
Auf meine Frage, warum keine Jugendlichen in den Tanzgruppen zu erspähen sind, meint Frank, unser Guide, dass die Jugend nicht mehr so zu den Traditionen steht, wie vielleicht er und deren Eltern. Spätestens seit der Unabhängigkeit im Jahre 1975 hat die Schuldichte selbst in den entlegensten Gebieten des Landes dermaßen zugenommen, dass über die erfolgte Bildungsoffensive eine neue Lebensvision Einzug gefunden hat. Ab der Sekundarschule steht Englisch auf dem Programm, eine unbedingte Voraussetzung für höhere Verdienste in den Städten.
Dadurch sind diese für die Jugendlichen in greifbare Nähe gerückt. „Die heutige Jugend“, meint Frank, „ist verweichlicht.“ „Es gibt keine Kraft- und Mutproben mehr. Die Jugend wird diesen Qualen nicht mehr unterzogen. Damit ist auch die Bindung zum eigenen Clan nicht mehr so ausgeprägt wie einst.“ Außerdem sei der stärker werdende Tourismus mitverantwortlich für die hohen Abwanderungsraten.