Flussfahrt an die Karibikküste

Reise / 10.04.2020 • 10:20 Uhr
Flussfahrt an die Karibikküste

Guatemala: Livingston ist nur über den Rio Dulce erreichbar. Die Fahrt ist exotisch.

Lautes Geschrei in den Baumwipfeln: Kormorane und Silberreiher machen sich die besten Plätze auf der kleinen Insel streitig, die Verlierer suchen protestierend das Weite. Die Wasserwelt des Rio Dulce ist ein Vogelparadies. Bootsführer Ricardo López wirft den Motor wieder an und steuert weiter Richtung Osten. Die Stadt Livingston an der Karibikküste ist nur per Boot über einen rund 40 Kilometer langen Flussabschnitt zu erreichen. Einbäume mit Fischern der Maya-Bevölkerung dümpeln auf dem Wasser, ihre Holzhäuser auf Stelzen säumen die Ufer am Fuße der urwaldbedeckten Berge. Während der neun Monate dauernden Regenzeit strömt das Wasser hier bis tief in die Wälder.

Ricardo stoppt am Steg einer Tischlerwerkstatt, vor der sich riesige Holzblöcke stapeln. Das Holz komme aus dem Urwald im Norden, erklärt der Handwerker. Es wird auf dem Wasserweg zu ihm geflößt – für umgerechnet rund 15 Euro pro Kubikmeter. Unter dem Dach der offenen Werkstatt stehen grob gearbeitete Tische, Stühle und Regale, gezimmert mit Energie aus einer Solaranlage, die der Tischler stolz zeigt. Nach dem Besuch beim Tischler biegt Ricardo in den Rio Tatín. Immer enger rücken die von Schlingpflanzen und Bromelien bedeckten Bäume zusammen, bis schließlich der Anleger des Schulprojektes Ak’ Tenamit in Sicht kommt – ein regulärer Zwischenstopp auf geführten Touren. Hier wartet bereits der 15-jährige Douglas. Jeder Besucher ist für ihn und seine Mitschüler ein ideales Trainingsobjekt: Der Maya-Nachwuchs lernt hier alles in Sachen Tourismus. Ak’ Tenamit ist ein außergewöhnliches Internat, getragen durch eine Hilfsorganisation: Die Kinder lernen neben Englisch und Spanisch auch ihren Maya-Dialekt Kekchí. Sie bauen ihr Essen selbst an, ein Maya-Priester unterrichtet sie in traditionellen Tänzen und führt religiöse Zeremonien durch. Vor allem aber werden sie mit Praktika fit für einen Job gemacht.

Douglas führt durch die strohgedeckten Klassenhütten, über denen Affen toben, zum Fußballplatz mitten im Urwald, und in die Küche, wo Mädchen und Jungen – Gleichberechtigung wird hier großgeschrieben – gerade Tortillas backen. „Meine Eltern zahlen dafür 50 Quetzales (rund 6 Euro) Schulgeld im Monat“, sagt Douglas, „und einen Sack Mais oder Bohnen.“ Den Rest finanzieren Paten aus aller Welt. Lehrer José García unterrichtet die Schüler im Holzschnitzen, vor ihm liegen Feilen und Messer in allen Größen. „Das Projekt soll die Landflucht bremsen und benachteiligte Kinder in Jobs und an die Unis bringen“, sagt er, während er an einem hölzernen Frosch arbeitet. Die Maya-Bevölkerung lebt in Guatemala nach wie vor am Rande der Gesellschaft – Kinderarbeit ist an der Tagesordnung.

Ankunft in Livingston

Auf der Weiterfahrt türmen sich die Kalkfelsen immer höher, es geht durch einen tiefen Canyon, an dessen Steilwände sich Urwaldbäume klammern. Ihre Wurzeln baumeln von den überhängenden Felsen. Wasser rieselt durch hängende Gärten. Dann spuckt der Rio Dulce das Boot in seine breite Mündung in der Amatique-Bucht aus, die Meeresbrandung der Karibik rollt in den Fluss. Pastellfarbene Holzbauten und halb versunkene Schiffe kündigen Livingston an. Hunderte von Pelikanen sitzen auf Palmen, Yachten und Anlegern.

In den Straßen von Livingston pulsiert das Leben. Die Souvenirhändler verkaufen Kunsthandwerk aus allem, was der Wald hergibt: Palmblätter, Holz, Kokosnüsse. Große Säcke mit Zucker und Reis stapeln sich am Straßenrand, daneben warten Berge von Bananen und Zwiebeln auf Kunden. Man könnte sagen, es herrscht afrikanisches Flair im Land der Mayas.

Die Boote können südlich der Brücke im Ort Rio Dulce gechartert werden.
Die Boote können südlich der Brücke im Ort Rio Dulce gechartert werden.
Mit dem Hafen von Livingston ist nach ein paar Stunden Bootsfahrt das Ziel erreicht.
Mit dem Hafen von Livingston ist nach ein paar Stunden Bootsfahrt das Ziel erreicht.