Aufwertung der Ortskirchen wäre jetzt an der Zeit

Einer der progressiven Vordenker der Kirche zeichnet sein Bild des 265. Nachfolgers Petri.
Rom. (VN) Am 8. August 2012 hat der Vorarlberger Jesuit und Russ-Preis-Träger Georg Sporschill Kardinal Carlo Maria Martini zum letzten Mal besucht. Dieses letzte Gespräch mit dem prominenten Mailänder Kardinal, der so lange als möglicher Papst gegolten hatte, gerann zu einem Vermächtnis mit Zukunftscharakter. Sporschill hat die letzten Worte Martinis in Bezug auf die kommende Papstwahl zusammengefasst: „Die Klagen des Kardinals waren wie sein Testament, das aus Liebe geschrieben ist. Mit Entschiedenheit rückte er bestimmte Menschen in die Mitte – die Armen, die Suchenden, die Frauen und die Fremden. Seine Anliegen wurden nicht zu Unrecht als „Agenda Martini“ für das Konklave bezeichnet.
Kardinal Martini war Papst Benedikt XVI. sehr nahe. Mehr als ein Jahrzehnt saßen sie als Kardinäle gemeinsam in der Glaubenskongregation, sie waren auch gleich alt. Doch die zwei Männer fühlten und dachten sehr unterschiedlich. Die Loyalität des alten Kardinals dem Heiligen Vater gegenüber aber war selbstverständlich. Zum letzten Mal sah Kardinal Martini Papst Benedikt im Juni 2012, als dieser Mailand besuchte. Der Kardinal war erstmals seit seinem Rücktritt im Jahr 2002 in sein früheres Palais zurückgekehrt. Im Rollstuhl. Der Papst beugte sich zu ihm hinunter. Und er gebot dem Heiligen Vater nahezu, Platz zu nehmen. Der Kardinal sah die müden Augen und die Gebrechlichkeit des Gleichaltrigen. Da verließ ihn der Mut, er konnte ihm die Vorschläge nicht mehr machen, die er vorbereitet hatte. Er sagte nur: „Heiliger Vater, ich bete für Sie und für die Kirche.“ Was sagt die „Agenda Martini“ über das Profil eines neuen Papstes? Er müsste ein Optimist sein wie Johannes XXIII. Er verteidigte nicht, was veraltet war, sondern öffnete die Fenster der Kirche für das Neue. Er hätte viel menschliches Verständnis und vertraute der Zukunft.
Er müsste Liebe haben wie Paul VI. Dieser war vielleicht überängstlich angesichts der neuen Möglichkeiten, die Technik, Medizin und gesellschaftliche Freiheit den Menschen boten. Aber es war Sorge um den Menschen, wie Kardinal Martini immer betonte, wenn er die Enzyklika „Humanae Vitae“ kritisierte. Das konnte er persönlich bezeugen, hat ihn doch dieser Papst immer wieder wie einen Freund zu Gesprächen über biblische Fragen gerufen.
Ein „Macher“ wird gesucht
Der neue Papst müsste Entscheidungskraft haben wie Johannes Paul II. Kardinal Martini erzählte, wie er ihn, der aus Turin stammte, zum Erzbischof von Mailand machte. Er hörte die Einwände nicht, er entschied. Mit seiner Stärke konnte er manches im Vatikan und in der Kirchenpolitik bewegen. Die Kraft dieses Papstes hat sogar den Eisernen Vorhang zu Fall gebracht.
Was muss der neue Papst von seinem Vorgänger haben? Er kann aufbauen auf dem, was Benedikt XVI geleistet hat. Dieser wollte die Kirche vor Risiken bewahren. Er wollte alle in der Gemeinschaft der Kirche halten, auch die Priesterbruderschaft St. Pius X. Er setzte auf Eliten in der Kirche, die er in den neuen Bewegungen (Movimenti) sah. Nun braucht es das „Agere contra“ – die Bewegung hin zu den Pfarrgemeinden, die Aufwertung der Ortskirchen und das Hinhören auf die Welt, wie es Kardinal Martini wagte. Benedikt XVI war in seiner Kirchlichkeit zentripetal, jetzt sind zentrifugale Kräfte gefragt. Mit einem Bischof aus der neuen Welt, aus Afrika oder den Philippinen, kann uns der Heilige Geist wohl eher überraschen als durch einen Verteidiger der alten Welt. Wie jung, wie fremd, wie frech, wie farbig muss ein Werkzeug des Heiligen Geistes heute sein?
Zur „Agenda Martini“ gehört genauso wie die radikale Selbstkritik der Respekt vor den Verantwortungsträgern. Weil er um die Last, die ein Bischof zu tragen hatte, wusste, zitierte er gerne aus dem Hebräerbrief: Eure Vorsteher sollen ihre Aufgabe „mit Freude tun können, nicht mit Seufzen, denn das wäre zu eurem Schaden. Betet für uns!“ (Hebr 13,17f)