Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Der Elefant im Raum

Spezial / 19.01.2018 • 21:12 Uhr

Nur 14 Kilometer Luftlinie von der Vorarlberger Grenze entfernt und doch durch ein Bergmassiv getrennt liegt Davos. Dieses Davos, das seit Donald J. Trumps Ankündigung, am Weltwirtschaftsforum nächste Woche teilnehmen zu wollen, schlichtweg kopfsteht. Seit Bill Clintons Besuch vor 18 Jahren hatte sich kein US-Präsident mehr in die Graubündner Alpen verirrt – für drei Tage im Jänner jeweils der Nabel der Weltpolitik.

Trump kommt nach Davos, um sich feiern zu lassen: eine Siegesrunde mit amerikanischen und internationalen Konzernchefs ist bei einem Wirtschaftsforum nach seinen Steuerkürzungen eine aufgelegte Sache. Europa in seinem derzeitigen politischen Zustand – ohne deutsche Regierung und mit der andauernden Brexit-Irritation – ist zudem ein interessantes Spielfeld für den US-Präsidenten. So ist es keine Überraschung, dass er mit der (zurzeit geschwächten) deutschen Kanzlerin Angela Merkel nicht zusammentrifft, obwohl auch sie in Davos sein wird. Der vermeintlich mächtigste Mann der Welt frotzelt die mächtigste Frau der Welt zu gerne.

Der US-Präsident will auch Emmanuel Macron, mit dem er noch vor sechs Monaten symbolträchtig über die Champs-Elysées in Paris schritt, zwischenzeitlich keine Bühne mehr bieten. Macron ist in der Außenpolitik innert kürzester Zeit wesentlich präsenter als es sein Vorgänger François Hollande in fünf Jahren war. Trumps Rückzug vom Iran-Atom-Deal nannte Macron „unverantwortlich“, und die Jerusalem-Anerkennung durch die USA einen „Fehler“. Macron wird ebenfalls in Davos sein, allerdings wie Merkel schon am Eröffnungstag, am Mittwoch.

Bei schwierigen Beziehungen zu den großen Staatenführern Europas ist der neutrale Austragungsort in den Schweizer Alpen ideal. Donald Trump wäre ohnehin omnipräsent in Davos gewesen, als „Elephant in the room“, wie die Amerikaner zu sagen pflegen. Ein offensichtliches Thema, das sich aufdrängt und dennoch tabu bleibt.

Trump kostet Tabus aus, um die vermeintliche „politische Korrektheit“ zu sprengen.

Auf ihn einzuschlagen, ist inzwischen zu einfach, denn er erreicht auch Dinge: So ist es ihm zweifellos gelungen, Unsicherheit zu verbreiten, global, aber auch nach innen. Undenkbares scheint plötzlich denkbar, alles ist ihm zuzutrauen. Klimawandel leugnen? Fakten verdrehen? Ein Atomkrieg mit Nordkorea? Alles einen Tweet entfernt.

Ein Jahr nach der Angelobung des US-Präsidenten scheinen viele Dinge möglich, die vor einem Jahr undenkbar waren. Das ist ein wichtiger Teil des Konzepts „Trump“. Der nächste US-Präsident muss dann das zerschlagene Porzellan aufkehren.

„Undenkbares scheint plötzlich denkbar, alles ist ihm zuzutrauen. Klimawandel leugnen? Fakten verdrehen? Ein Atomkrieg mit Nordkorea? Alles einen Tweet entfernt.“

Gerold Riedmann

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Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.