“Goldmedaille hängt über dem Bett”

Fast 60 Jahre dauerte es, bis Katharina Liensberger wieder Gold nach Vorarlberg holte.
Cortina d‘Ampezzo, Göfis Ihre erste WM-Goldene im Parallel-Einzel in Cortina d‘Ampezzo hat Katharina Liensberger lange keine Ruhe gelassen. „Um ehrlich zu sein, viel geschlafen habe ich nicht“, verriet die Vorarlbergerin am Tag danach. Eine ausgelassene Party stand freilich wegen Covid-19 nicht an, es brauche einfach immer einige Zeit, bis sie die Emotionen verarbeitet habe. So gesehen wurde schaumgebremst gefeiert, in Italien und auch in Vorarlberg. „Ich habe von zu Hause Nachrichten bekommen, wie – natürlich unter Corona-Bedingungen – angestoßen wurde.“ Wie spät es am Abend des Goldtages dann geworden ist, wusste die Göfnerin nicht mehr genau. „Geschlafen habe ich in der Nacht nicht sehr viel. Die Gefühle, die Emotionen, die da waren, das dauert bei mir immer sehr lang, bis ich es verarbeiten kann.“
Lange Wartezeit ist zu Ende
Denn der Dienstag war sehr lang, begann doch die Qualifikation für den Parallelbewerb um 9 Uhr auf einem anderen Hang, der in etwa 30 Minuten Fahrzeit vom Teamquartier in Cortina erreichbar ist. Nach der Siegerehrung am späten Nachmittag ging es zur Dopingkontrolle, danach kurz in den Verpflegungsbereich der Mannschaften, wo sie schon erwartet wurde. „Im Team Hospitality haben alle auf mich gewartet, das war total nett. Dann ist es gleich weitergegangen mit einem Medientermin und ins Hotel“, sagte die erste Ski-Weltmeisterin aus dem Ländle seit Marianne Jahn. Die Lecherin hatte 1962 in Chamonix im Riesentorlauf und im Slalom gewonnen. Fast 60 Jahre später ist Liensberger sprichwörtlich in deren Fußstapfen getreten.
Dennoch habe sie gut regenerieren können und sei für den Team-Event bereit gewesen, betonte Liensberger. „Einfach sehr schade, dass es nicht weiter nach vorne gereicht hat.“ Liensberger gewann ihre beiden Duelle zwar, in der Gesamtaddition der besten Zeiten war Schwedens Quartett im Viertelfinale jedoch knappe vier Zehntelsekunden schneller.
„Die Gefühle, die Emotionen, die da waren, das dauert bei mir, bis ich das verarbeiten kann.“
Katharina Liensberger, Parallel-Weltmeisterin
Gold hängt über dem Bett
Die Niederlage müsse sie jetzt so schnell wie möglich abhaken, steht doch heute mit dem Riesentorlauf der nächste Bewerb an. „Es ist gestern sehr auf die Substanz gegangen, weil wirklich sehr viele Duelle waren. Trotzdem habe ich auch heute gewusst, wenn ich am Start stehe, schaffe ich es, dass ich auch die Power habe, um da alles zu geben“, erklärte die am 1. April geborene Sportlerin aus Göfis. Wo sie die Goldmedaille aufbewahrt hat? „Über meinem Bett ist sie momentan.“
Wozu noch keine Zeit war, ist das Sichten und vor allem Beantworten der vielen Nachrichten, die auf ihrem Telefon seit dem Titel eingegangen sind. „Ich habe Videos gekriegt von daheim, wie sich alle gefreut haben“, berichtete die 23-Jährige. „Ich freue mich natürlich über jede einzelne Nachricht. Es sind so viele, die immer hinter mir stehen und mir die Daumen drücken. Das bedeutet mir sehr, sehr viel, da bin ich auch allen sehr dankbar.“
Vater Thomas Liensberger freute sich über das Poster der Tochter in den VN
Dankbar, dass ihre Tochter Spitzensport ausüben kann und die WM in Italien stattfindet, ist auch Katherinas Mutter. Normalerweise wäre Herlinde Liensberger vor Ort an der Seite ihrer Tochter. „Aufgrund der Corona-Maßnahmen habe ich das Rennen vor dem Fernseher mitverfolgt und mitgefiebert, erzählt sie und gibt zu: „Mein erster Gedanke war: Schöner geht nicht – eine Goldmedaille für Katharina und eine Goldmedaille für Marta in Italien bei der WM.“ Und was waren ihre ersten Worte an die Tochter? „Wow, Katharina, herzlichen Glückwunsch! Ich gratuliere dir von ganzem Herzen!“ Von Herzen gefreut hat sich auch Vater Thomas, der den Willen seiner Tochter erwähnt: „Als kleines Mädchen wollte sie nicht mit Stützrädern Fahrradfahren, sondern ohne. Sie wollte schwimmen, aber nicht mit Schwimmflügeln.“ Ihre Fähigkeit, an Dingen dranzubleiben, sich stetig verbessern zu wollen, sei herausragend. Auch damals, als sie im Skiverband kaderverpflichtend vom Gymnasium in die Skihauptschule nach Schruns wechseln musste, habe sie genau gewusst, was sie wollte.
Frühe Freude am Rennsport
Diese Eigenschaften sieht auch Walter Hlebayna, Präsident des Vorarlberger Skiverbandes, bei seiner Vorfahrerin. „Sie hat einen ausgeprägten Charakter, ist ein sehr zielstrebiger Mensch, eine genaue wie fleißige Arbeiterein.“ In puncto Technik sei Liensberger „sehr weit. Im Slalom geht es bei ihr in Richtung Topniveau, da fährt sie auch sehr stabil. Im Riesentorlauf fällt sie in gewissen Phasen wieder zurück in eine kleine Ungenauigkeit, die bei glattem, rutschigem Untergrund fatale Auswirkungen hat.“ Den Faktor „Lernwilligkeit“ zählt Hlebayna ebenfalls zu den Stärken der Parallel-Weltmeisterin. Sie konzentrierte sich früh auf die technischen Disziplinen, sei im Nachwuchs einen „schnellen Weg“ gegangen. „Katharina ist es Schritt für Schritt angegangen, reüssierte dann schnell im Weltcup.“ Miteingeschlossen die Lernprozesse wie Ausfälle und Nicht-Qualifikationen. „Und auf einmal hat es gepasst.“
Wolfgang Kopf vom Skiklub Rankweil erinnert sich an Liensbergers Anfänge. „Es war in Laterns und Katharina noch ein kleines Mädchen, da wollte sie bei einem Rennen des Skiklubs mitfahren. Sie durfte – und ist seither Mitglied bei uns, weil ja Göfis keinen Skiklub hat.“ Ohne Pandemie, so verrät Kopf, würden viele Freunde und Bekannte zusammen vor Ort die WM-Rennen anschauen und mitfiebern. „Jetzt halten wir eben über Handys Kontakt“, schmunzelt er. Das Wichtigste sei sowieso was anderes: „Dass Katherina einfach extrem gut auf den Skiern steht.“ VN-cha-ko
WM-Silber 2019 in Aare mit dem Team, u. a. mit Christian Hirschbühl. 2016 feierte Katharina Liensberger in Flachau ihr Debüt im Ski-Weltcup. Das Edelmetall bei der EYOF 2015: Gold und Bronze für Katharina Liensberger. Oma Bernadette (80) schaut auch heute noch jedes Rennen ihrer Enkelin an. 2015 gemeinsam bei der EYOF, 2021 in Cortina: Liensberger und Melanie Meillard.