Husarenritt von Gall bei Königsetappe

25-jähriger Osttiroler feierte vierten rot-weiß-roten Einzel-Etappensieg bei der Tour de France.
Couchevel Der Triumph bei der Königsetappe der Tour de France ist der vorläufige Höhepunkt in der Karriere von Felix Gall. Dass er sich mit den Weltbesten messen kann, hat der Osttiroler bereits mehrfach bewiesen. Seit einigen Monaten präsentiert sich der 25-Jährige aber auf einem noch höheren Leistungslevel. Auf Spitzenergebnisse bei der Baskenland-Rundfahrt und wie bereits 2022 bei der Tour of the Alps ließ Gall im Juni in der Schweiz seinen ersten Profisieg folgen.
Ursprünglich gar nicht vorgesehen
Dieser Triumph auf einer harten Bergetappe der Tour de Suisse beförderte den introvertierten Golf-Liebhaber auch ins Führungstrikot der stark besetzten Generalprobe für die Frankreich-Rundfahrt. Das konnte er zwar nicht halten, als Gesamt-Achter bewies Mann aus Nußdorf-Debant aber, dass die Form für die Tour de France stimmt. Dabei war er in seinem französischen AG2R-Rennstall ursprünglich gar nicht für die „Große Schleife“ vorgesehen gewesen. Seine starken Leistungen im Frühjahr brachten ihm aber sein Tour-Debüt ein.
Diesen Vertrauensvorschuss löste der Juniorenweltmeister im Straßenrennen von 2015 gleich auf der ersten Pyrenäen-Etappe aufsehenerregend ein. Der 1,80 m große und 66 kg leichte Gall sammelte auf dem enorm fordernden Teilstück reichlich Bergwertungspunkte, wurde Etappen-Dritter und übernahm vor dem nächsten Klettertag in den französischen Bergen das gepunktete Trikot der Führenden in der Bergwertung.
Dieses Kunststück war zuvor mit Bernhard Kohl 2008 erst einem Österreicher gelungen, der nach der Tour aber als EPO-Dopingsünder überführt wurde. Weil Kohl in der diesbezüglich schon mehrfach belasteten rot-weiß-roten Historie nicht der letzte als Betrüger entlarvte heimischen Topradprofi war, werden Erfolge heimischer Fahrer seither besonders kritisch beäugt.Die Leistungsentwicklung von Gall ist im Gegensatz zu einigen der mit Pharmazeutika erfolgreichen Österreicher wie Kohl und Co. aber von Jugendtagen an linear und diesbezüglich nicht auffällig.
Auf letztem Anstieg attackiert
Der kurze Auftritt im Bergtrikot sollte aber nicht die einzige Glanztat bei der diesjährigen Tour de France sein. Gall setzte noch einen darauf. Mit dem Triumph auf der Königsetappe feierte der Osttiroler den bisher größten Erfolg seiner Laufbahn. Der Tiroler triumphierte auf dem mit über 5000 Höhenmetern gespickten 17. Teilstück in beeindruckender Manier. Auf dem 28,1 km langen, gefürchteten Anstieg zum Col de la Loze, mit 2304 Metern der höchste Punkt der Tour, schüttelte der 25-Jährige auch die letzten Kontrahenten ab und avancierte zum vierten österreichischen Einzel-Etappensieger bei der Frankreich-Rundfahrt.
Letzter ÖRV-Sieg 2021 von Konrad
Max Bulla hatte einst drei Etappensiege bei der Tour 1931 geholt, danach schlug Georg Totschnig 2005 zu. Fünf Jahre davor hatte Peter Luttenberger mit seiner Equipe in einem Teamzeitfahren triumphiert. Für den bisher letzten rot-weiß-roten Jubel bei der Frankreich-Rundfahrt sorgte Patrick Konrad vor zwei Jahren. „Die Königsetappe bei der Tour de France zu gewinnen, ist einfach nur unglaublich“, jubelte Gall über den sensationellen Erfolg.
Auf erste nationale und internationale Nachwuchserfolge des zuvor als Triathlet aktiven HAK-Absolventen mit Gold bei der Junioren-WM 2015 als Glanzpunkt wechselte er in die Development-Equipe des deutschen Sunweb-Rennstalls. Nach drei Jahren in der Nachwuchsschmiede stieg Gall in das Profiteam der Equipe auf, in der er 2020 und 2021 allerdings nicht wirklich glücklich wurde. Steiler bergauf ging es dann seit dem Vorjahr in seiner aktuellen AG2R-Mannschaft, die Galls heurige Erfolge unlängst mit der Verlängerung seines Vertrages um zwei Jahre bis Ende 2025 honorierte.
Gall selbst führt seine aktuelle Stärke auf die im Winter und Frühling erstmals ohne Krankheitspausen abgelaufene Vorbereitung unter Anleitung seines Trainers Stephen Barrett zurück. Auch ein langes Höhentrainingslager im Mai verlief reibungslos, dementsprechend gut war seine Verfassung in den letzten Wochen und nun auch bei der Tour. Beflügelnd hinzu kommt das gestiegene Selbstvertrauen. „Ich habe gesehen, was möglich ist. Ich brauche mich nicht zu verstecken. Ich traue mir viel mehr zu als früher.“
Mit diesem Selbstverständnis stürmte er gleich bei erster Gelegenheit in eines der prestigeträchtigen Wertungstrikots und holte sich zwei Wochen später seinen ersten Etappensieg beim weltweit über drei Wochen beachteten Showdown der besten Radsportler in Frankreich. Ob Gall in Zukunft auch einmal in den Kampf um das „Maillot Jaune“ einsteigen wird, ist offen.
Zukunft von Debüt abhängig
Die Entscheidung wollte er von seinem Tour-Debüt abhängig machen, das er als sogenannter Edelhelfer mit Freiheiten für eigene Ambitionen für seinen Teamkapitän Ben O‘Connor bestreiten sollte. Während der Australier nicht überzeugte, pedalierte Gall ins internationale Rampenlicht und empfahl sich eindrucksvoll für noch größere Aufgaben. Beim Siegerinterview wurde Gall von O‘Connor überrascht. Der eigentliche Teamkapitän umarmte den Osttiroler und gratulierte: „Du bist ein Champion, genieß es!“
In der Gesamtwertung verbesserte sich Gall auf den achten Platz mit +16:11 Minuten auf Leader und Titelverteidiger Jonas Vingegaard, im Kampf um das Bergtrikot liegt Gall mit 82 Punkten nur sechs Zähler unmittelbar hinter dem Führenden Giulio Ciccone aus Italien und einen Punkt vor Vingegaard.
„Die Königsetappe bei der Tour de France zu gewinnen, ist einfach nur unglaublich.“


Radsport
110. Tour de France 2023
17. Etappe, Saint-Gervais Mont-Blanc – Courchevel (166 km): 1. Felix Gall (AUT) AG2R 4:49:08 Std., 2. Simon Yates (GBR) Jayco +0:34 Min., 3. Pello Bilbao (ESP) Bahrain +1:38, 4. Jonas Vingegaard (DEN) Jumbo +1:52, 22. Tadej Pogacar (SLO) UAE +7:37, 34. Felix Großschartner (AUT) UAE +18:54, 35. Gregor Mühlberger (AUT) Movistar +19:42, 88. Michael Gogl (AUT) Alpecin +36:33, 119. Patrick Konrad (AUT) Bora +37:33, 126. Marco Haller (AUT) Bora +37:54
Gesamtwertung: 1.Vingegaard 67:57:51 Std., 2. Pogacar +7:35 Min. , 3. Adam Yates (GBR) UAE +10:45, 8. Gall +16:11, 24. Großschartner +1:37:13 Std., 45. Mühlberger +2:38:00, 82. Konrad +3:43:18, 88. Haller +3:53:06, 127. Gogl +4:40:19
18. Etappe (heute): Moûtiers – Bourg-en-Bresse (185 km); 19. Etappe (Freitag): Morains-en-Montagne – Poligny (173 km); 20. Etappe (Samstag): Belfort – Le Markstein Fellering (134 km); 21. und letzte Etappe (Sonntag): Saint-Quentin-en-Yvelines – Paris Champs-Élysées (115 km)