Toni Innauer

Kommentar

Toni Innauer

Üppige Ernte an Aufmerksamkeit

Sport / 03.11.2023 • 18:35 Uhr

Ein Sieg von Marco Schwarz wäre der verdiente rot-weiß-rote Zuckerguss über dem Wochenende gewesen. Es war für jeden und jede etwas dabei bei diesem bunten Jahrmarkt der Aufmerksamkeit. Themen für ein ganzes Kalenderjahr drängten und konkurrenzierten sich in der dünnen Luft des Gletschers in den medialen Auslagen.

Eine norwegische Legende, der regierende Weltmeister im Slalom, möchte für Österreich an den Start gehen. Der Shootingstar aus demselben Land, Disziplinenweltcup-Verteidiger im Slalom, ausgestattet mit lukrativen Verträgen, gibt ohne Verletzung und echte Not mit 23 Jahren über Nacht seinen Rücktritt bekannt. Die Erklärungen des brasilianischen Norwegers Braathen sind völlig gegen den kommerziellen Mainstream gebürstet, einzigartig in der mir erinnerbaren Geschichte des professionellen Skisports. Schade um dieses Original.

Solche Vorkommnisse genügen in jeder Skination für ein emotionales Erdbeben. Dazu addiert sich die Disqualifikation von Ragnhild Mowinckl. Das überfällige Fluor-Wachs-Verbot, das Umwelt und Lungen des Servicepersonals schonen wird, hat – trotz kurzfristig um 80 Prozent erhöhtem Grenzwert – sein erstes Opfer. Keiner konnte erklären, wie die verbotene Substanz auf den Belag kam. Die Regel aber war mit einem Schlag in aller Munde. Jeder weiß jetzt, dass ernst gemacht wird. Zweifel an der Treffsicherheit der Kontrollen lagen bedrohlich wie der sonntägliche Wetterbericht in der Luft.

Im Vorfeld wurde die Strahlkraft des Sportevents von Klimaschützern, aber auch von Ehemaligen des Sports aufgegriffen, im Sinne der Sache und wie immer auch in eigener intensiv genutzt. Heftiger und breiter als je zuvor wurde über Klimawandel, den Einfluss des Skisports auf denselben und umgekehrt diskutiert.

Der Tanz auf dem dekorativ angezuckerten Vulkan führte – trotz KlimakleberInnen und nur vermeintlichem Sprechverbot für Benni Raich – nicht zur Eruption durch totale Polarisierung.

Problembewusstsein, Relativierung und Lösungsorientierung schimmerten durch. Bei AktivistInnen, die die große öffentliche Bühne – „Weltcup feiern ist kein Verbrechen, die Klima-Ignoranz der Regierung schon“– nutzen wollten. Und die Ötztaler können mit Blick auf Gurgler und Venter Ache einordnen, dass ihnen mit einem späteren Renntermin weniger Wasser abgegraben werden wird als durch die kurzfristig aus dem Aufmerksamkeitsfokus gedrängten Pläne der Energie­konzerne.

Verbotenes, Umstrittenes hat eben einen magischen Reiz. Damit sichert sich der überklebte Hirscher-Ski weiterhin in bewährter Bullenmanier zusätzliche Anteile am Aufmerksamkeitskuchen. Vielleicht sind mit diesem Phänomen sogar der überraschende Zuschauerrekord am Gletscher und die hohen TV-Quoten zu erklären.

„Verbotenes, Umstrittenes hat eben einen magischen Reiz. Auch, was den überklebten Hirscher-Ski betrifft.“

Toni Innauer

sport@vn.at

Anton „Toni“ Innauer ist Skisprung-Olympiasieger, war Skisprungtrainer und ÖSV-Sportdirektor. Heute als Buchautor und Vortragender tätig.