Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Unverhofft

VN / 13.04.2023 • 13:05 Uhr

Zwei mittellose Menschen, Mutter und Sohn, kamen unverhofft zu Geld. Sie wussten nicht, wie ihnen geschah. Ein Verwandter, von dem sie gar nicht geahnt hatten, dass er existiert, hatte ihnen Geld vermacht. Sie zogen aus ihrer Höhle – so sagten sie nämlich zu dem winzigen Zimmer, in dem sie beide bis dahin gewohnt hatten, ohne Wasser, ohne Strom, und nahmen sich ein Zimmer in einer Pension.


„Erst einmal“, sagte der Sohn zu seiner Mutter, „musst du dir die Zähne richten lassen. Ein wunderbares Gebiss, und du siehst zwanzig Jahre jünger aus.“
„Ja, aber“, sagte die Mutter zu ihrem Sohn, „dann hätte ich gern, dass du dir ein perfektes Haarteil kaufst, mit dem du deine Glatze abdecken kannst. Dann wirst du eine Frau finden.“


Zuerst mussten sie sich neu einkleiden, und das führte wieder zu einem Problem. Sie mussten, so wie sie waren, schlecht gekleidet, in ein Geschäft gehen, und sie wollten in teures Geschäft. Da würden sie garantiert nicht bedient, man würde meinen, sie kämen zum Betteln.

„‚Erst einmal‘, sagte der Sohn zu seiner Mutter, ‚musst du dir die Zähne richten lassen. Ein wunderbares Gebiss, und du siehst zwanzig Jahre jünger aus.‘“


Der Sohn kannte einen Mann, der einen Computer besaß, den wollte er um Rat fragen. Der wiederum, weil er selber keine Ahnung hatte, wies die beiden zu seiner Enkelin, die kenne sich aus. Die Vermittlung allerdings koste einen Fünfziger. Erst musste die Erbschaft abgeschlossen sein und ein Konto eröffnet, auf das das geerbte Geld überwiesen werden konnte.


Sie trafen das Mädchen, eine 14-jährige Schülerin, der teilten sie mit, wobei sie Hilfe brauchten. Sie wollten sich gute Kleider aus dem Internet bestellen. Dazu müsse sie erst einmal Maß nehmen, sagte sie und wissen müsse sie auch, an welche Preisklasse gedacht war.


„Ein Anzug für meinen Sohn“, sagte die Mutter, „darf 300 Euro kosten, die Schuhe 50 Euro.“
„Für die Mutter ein Mantel für 200 Euro, ein Kleid 200, Strümpfe und Schuhe 100.“
„Ja“, fragte die Schülerin, „haben Sie denn soviel Geld, und haben Sie eine Adresse, wo man die Sachen hinschicken kann?“
Sie bot ihre Adresse an. Wenn die Sachen nicht passten, könnten sie zurückgeschickt werden. Das alles würde sie tun, koste allerdings 100 Euro, weil das viel Arbeit sei.
Die Kleider passten nicht zu 100 Prozent, sie waren ein oder zwei Nummern zu groß, bei der Mutter eher günstig, weil ihr Körper etwas unförmig war.
Jetzt ging es noch zum Frisör und zur Nagelpflege und in einen Drogeriemarkt, Parfum und Seife wurde gekauft, und der Sohn bekam eine Teilperücke aus dunkelbraunem echten Haar.

Mutter und Sohn spazierten als neue Menschen in der Stadt herum und schauten sich schöne Häuser an. „So eines würde mir gefallen“, sagte die Mutter und wischte ein Federchen am Ärmel ihres Sohnes in die Luft.

Monika Helfer

monika.helfer@vn.at

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.