Haubenkoch Andreas und sein Leben auf der Überholspur – bis zu seinem schweren Unfall

Mit Talent und Fleiß brachte es Andreas Messner (49) bis zum Haubenkoch. Er kam weit herum und führte ein rastloses Leben. Im Vorjahr bremste ihn ein schwerer Motorradunfall ein.
St. Gallenkirch Eines Tages kam das Familienoberhaupt nicht mehr nach Hause. Das riss die Familie abrupt auseinander. Denn Gerlinde, die in einem Gasthaus kellnerte, wusste nicht, wie sie ihre zwei Kinder allein durchbringen sollte. Deshalb gab sie Andreas, damals sechs Jahre alt, und seine Schwester Kerstin (damals 1) in die Obhut von Pflegeeltern.

Andi (heute 49) mochte seine Pflegeeltern. Aber sie waren für ihn keine Ersatzeltern. „Uns mangelte es an nichts. Aber ich wusste, es ist nicht mein Daheim.“ Seine Mutter holte ihn und seine Schwester alle 14 Tage übers Wochenende zu sich. „Das war ein richtiges Heimkommen.“

Bei den Pflegeeltern lernte Andi viel. „,Opa‘ reparierte alte Autos. Ich durfte mitbasteln.“ Auch seine Pflegemutter, die „Oma“, brachte ihm praktische Dinge bei. „Wir waren halbe Selbstversorger, haben Fleisch zu Salami und Würsten verarbeitet und Früchte eingekocht.“ Mit acht Jahren bereitete Andi erstmals einen Apfelstrudel zu. Als er merkte, dass er anderen damit eine Freude machte, interessierte er sich noch mehr fürs Kochen und Backen. „Ich wollte beliebt sein.“
Nach Gefühl gekocht
Mit 13 Jahren entschied der Bub, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. „Ich wollte nicht, dass meine Pflegemutter entscheidet, welchen Beruf ich ergreife.“ Für ihn war klar: Entweder werde ich Mechaniker oder Koch. Denn beides tat er gern: reparieren und kochen. Die Kochschnupperlehre in einem Hotel in Friesach sprach ihn sehr an. „Es taugte mir, dass man Menschen mit einem guten Essen Freude machen kann.“ So kam es, dass aus Andi ein Koch wurde. Die dreijährige Lehre schloss der Kärntner mit Auszeichnung ab. Seine Arbeitgeber freuten sich über seinen Arbeitseifer und sein Talent. Mit unfehlbarem Gefühl bereitete Andi Speisen zu. „Ich habe ohne Rezept gekocht.“

Sein Beruf brachte ihn weit herum. Zunächst arbeitete der Koch als Saisonnier. „Ich wollte andere Orte kennenlernen.“ 18-jährig kam er 1992 an den Arlberg und war in einem Hotel als Salat- und Vorspeisenkoch tätig. „Da merkte ich, dass ich noch viel lernen muss.“ Nauders und Ischgl waren weitere Stationen in seiner beruflichen Laufbahn. „In Ischgl musste ich erstmals den Küchenchef machen, weil mein Vorgänger den Job kurz vor Weihnachten hingeschmissen hatte.“
20 Stunden am Tag gearbeitet
Andi nahm Jobs nach dem Motto an: „Im Winter am Berg, im Sommer am See.“ Seine Mutter und sein Stiefvater betrieben am Wörthersee ein Hotelrestaurant. „Im Sommer kochte ich bei Mama.“ Die Arbeitsmoral übernahm er ungefragt von seiner Mutter. „Die hat immer zu mir gesagt: ,Arbeite hart, dann kannst du dir alles ermöglichen.‘“ Als Koch gab Andi alles. „Ich habe freiwillig 120 Prozent gearbeitet, 20 Stunden am Tag und oft sieben Tage die Woche.“ Talent, gepaart mit Fleiß, brachte ihn im Beruf vorwärts. Mit 27 Jahren landete der junge Mann in der Hauben-Gastronomie, nachdem er die Wirtshaus- und Hotelküche gut kennengelernt hatte. Auch in der gehobenen Küche konnte sich der kreative und arbeitswütige Kärntner behaupten. Ein bisschen leben wollte er aber auch noch neben der Arbeit. Deshalb ging der Haubenkoch abends öfters auf Schickimicki-Partys. „Einmal habe ich mehrere Male hintereinander verschlafen. Trotzdem wurde ich nicht gekündigt.“

Andi, der mittlerweile für eine bekannte Cateringfirma in Wien tätig war, lebte jetzt auf der Überholspur und am Rande eines Burnouts. „Wenn du so weitermachst, wirst du keine 40“, prophezeiten ihm Arbeitskollegen. Doch Andi war nicht zu bremsen, zumal nun das Ausland lockte. Auf luxuriösen Kreuzfahrtschiffen reiste er als Schiffskoch zweimal um die Welt. Danach kochte er einige Monate für Gäste in Ferienanlagen in Kapstadt und Johannesburg. Auch später flogen ihm die Jobs nur so zu: Einmal wurde er für den Grand Prix in Brasilien engagiert. „Ich war der zweite Küchenchef im Ferrari-Lager.“ Ein andermal verwöhnte er einen Millionär in Brasilien und den österreichischen Botschafter in San Francisco kulinarisch. Auch die Konsulate in Chicago, New Orleans, Detroit und Vancouver nahmen seine Dienste gerne in Anspruch. Tokio lernte der begabte Koch kennen, als er neun Monate im Grandhotel arbeitete. „Diese Stadt schläft nicht. Die ist immer hell.“
Im Mai des Vorjahres gebot das Leben dem Workaholic, der inzwischen wieder am Arlberg arbeitete, Einhalt und verdonnerte ihn zu einer Zwangspause. Bei einem Verkehrsunfall am 12. Mai 2022 am Thüringerberg verletzte sich der Koch, der mit seiner Kawasaki Z1000 unterwegs war, schwer.

Im monatelangen Krankenstand hatte Andi Zeit, um über sich und sein Leben nachzudenken. Zunächst freute es ihn, „dass ich jetzt ohne schlechtes Gewissen nichts tun konnte“. Was bisher immer nur ein Versprechen für ihn gewesen war, war jetzt Realität geworden. „Ich hatte plötzlich ein Privatleben.“ Andi erkannte, dass ihm das Leben nun Zeit gab, um sein Dasein in eine ruhigere Bahn zu lenken. „Mir wurde klar, dass ich mich nicht mehr beweisen und im Job 120 Prozent geben muss. Mein Inneres sagte mir: ,Andi, nimm’ dich zurück.“ Seit ein paar Monaten arbeitet der 49-Jährige wieder – in der Feinkostabteilung eines Supermarktes in St. Gallenkirch. Eine Rückkehr in die stressige Gastronomie schließt der Kärntner aus.