Gendern muss gelernt werden

VN / 09.07.2023 • 15:30 Uhr
Martina Eisendle setzt sich ehrenamtlich für die LGBTQ+ Community ein.<span class="copyright"> vn/pem</span>
Martina Eisendle setzt sich ehrenamtlich für die LGBTQ+ Community ein. vn/pem

Wie wichtig gendergerechte Sprache ist, erläutert Martina Eisendle vom Verein ProQueer.

Hörbranz „Meine Pronomen sind sie/ihr. Was sind Ihre?“, begrüßt uns Martina Eisendle gleich zu Beginn des Gesprächs. Seit geraumer Zeit ist sie im Verein ProQueer in Bregenz ehrenamtlich tätig. Dabei setzt sich Eisendle für die Rechte der LGBTQ+ Community ein. In einem Interview mit den VN erklärt sie, wie wichtig gendergerechte Sprache für queere Gruppierungen, insbesondere für non-binäre und transnormale Menschen, ist.

Martina Eisendle in ihrem Büro in Lochau. <span class="copyright">vn/pem</span>
Martina Eisendle in ihrem Büro in Lochau. vn/pem

Wann sind Sie mit dem Thema Gendern zuerst in Berührung gekommen?

Das Thema Gendern beschäftigt mich als Feministin schon lange. Als ich geboren wurde, vor 50 Jahren, hat Luise Pusch, eine feministische Linguistin, angefangen, darüber zu forschen, wie Sprache die Wirklichkeit prägt. Sie hat das Buch „Deutsch als Männersprache“ geschrieben. Dabei hat sie aufgedeckt, dass die Anwendung des generischen Maskulinums, das, was standardmäßig immer verwendet wird, eine sehr ungerechte Sache ist. Das ist jetzt 50 Jahre her, und es hat sich nicht durchgesetzt, dass in der Sprache mehr Gerechtigkeit herrscht.

Denken Sie, dass wir es schaffen werden, eine gendergerechte Sprache in unseren Alltag einzubauen?

Ich glaube, das ist das letzte Aufbegehren jetzt vor der größeren Veränderung. Wir stehen vor einer gewaltigen gesellschaftlichen Transformation. Die Sprache wird sich verändern, weil die Gesellschaft sich verändert.

Wie wichtig ist es für die LGBTQ+ Community, dass gegendert wird?

Ganz wichtig. Es ist zum ersten Mal ein Sichtbarwerden. Und dieses Sichtbarwerden ist für die eigene Identität wichtig.

Viele sind Gegner von Gendern. Können Sie das nachvollziehen?

Jetzt gibt es diesen Aushandlungsprozess, der natürlich nicht ganz friktionsfrei ist. Es ist ein künstlicher Akt, der in der Sprache eingeführt wird, der natürlich Widerstände erzeugt, weil wir den Pfad des Gewohnten verlassen. Ich habe Verständnis dafür, dass bestimmte Gruppen von Menschen nicht mehr mitkommen. Dass es verwirrend oder schwierig ist und dass es auch als Provokation erlebt wird. Aber das hat damit zu tun, dass diese Menschen in ihrer eigenen Welt überhaupt nie konfrontiert worden sind mit diesen Fragen.

Sie haben sich gleich mit Ihren Pronomen vorgestellt. Soll das der neue Standard werden, für jeden?

Das wäre schön. Diese Personalpronomen ersetzen ja sozusagen den Namen, wenn man über diese Person spricht. Ich glaube, es wird sehr stark von den non-binären Menschen befeuert, die sagen, sie möchten nicht, dass automatisch als sie oder er über sie gesprochen wird. Und ich merke, dass es den jungen Menschen, mit denen ich zu tun habe, wichtig ist. Und dann ist das für mich Grund genug, das zu tun. Ich finde, es ist ihnen gegenüber ein Akt der Höflichkeit.

Für non-binäre Personen wäre das Pronomen „es“. Denken Sie, dass es schwierig sein könnte, es in die deutsche Sprache zu integrieren?

Ob etwas schwierig ist oder nicht, hat damit zu tun, wie sehr wir bereit sind, uns damit auseinanderzusetzen. Und wenn man das Bedürfnis verstanden hat, das dahinter steht, dann entsteht auch die Bereitschaft, sich zu bemühen. Ich glaube, es gibt da keine Lösung, aber es gibt sehr viele kreative Varianten.

Wie könnten wir gendergerechte Sprache bei uns durchsetzen?

Meine Erfahrung aus der Frauenbewegung ist, dass verbindliche Schritte erst durch Normen weitergebracht werden können. Stell dir vor, du wohnst an einer Straße, an der Kinder spielen, und du siehst, dass Menschen mit dem Auto mit 80 Kilometer pro Stunde durchrasen. Du kannst sie freundlich hinweisen, langsamer zu fahren. Aber so richtig in die Wirklichkeit kommt es, wenn das 30er-Schild dort steht.