“Eine Zusammenarbeit von ÖVP und SPÖ wäre zukunftsträchtig”

VN / 18.04.2024 • 18:56 Uhr
Marco Witting (TT), Matthais Krapf (TT), Hubert Patterer (Kleine Zeitung), Isabell Russ (Vorarlberger Nachrichten) und Landeshauptmann Anton Mattle.
Marco Witting (TT), Matthais Krapf (TT), Hubert Patterer (Kleine Zeitung), Isabel Russ (Vorarlberger Nachrichten) und Landeshauptmann Anton Mattle.

Der Tiroler Landeshauptmann hofft auf Parteien der Mitte. Im Tourismus sieht er wichtige Schritte gegen den Klimawandel gesetzt.

Innsbruck Die Wahl in Innsbruck brachte eine Niederlage für die ÖVP. “Sie hinterlässt natürlich Spuren”, sagt Tirols Landeshauptmann Anton Mattle im Gespräch mit den Chefredakteuren der Bundesländerzeitungen. Gleichzeitig betont er, dass in Innsbruck eigene Gesetzmäßigkeiten herrschten, “die sich so nicht auf die Europawahl oder die Nationalratswahl übertragen lassen”. Mit FPÖ-Chef Herbert Kickl möchte Mattle nicht zusammenarbeiten, mit der SPÖ schon, wobei er mit dem Kurs von Andreas Babler auch Probleme habe.

Herr Landeshauptmann, wie sehr schmerzt Sie die krachende Niederlage in Innsbruck?

Anton Mattle Sie hinterlässt natürlich Spuren. Unsere Erwartungshaltung war schließlich eine gänzlich andere, weil wir nach 30 Jahren endlich die zwei bürgerlichen Gruppierungen in der Landeshauptstadt zusammenführen konnten.

Offensichtlich tut sich die ÖVP in den Städten generell schwer und hat sich in Innsbruck erneut verkalkuliert.

Mattle Meiner Ansicht nach hat das Bürgerliche in der Stadt Innsbruck nach wie vor einen großen Stellenwert, aber die klassische ÖVP konnte nicht reüssieren.

Ist der ÖVP der Instinkt für den Erfolg abhandengekommen? Das Experiment mit Florian Tursky in Innsbruck ging ja völlig daneben.

Mattle Es gibt sicher viele Gründe, dass Hannes Anzengruber mit seiner neuen Bewegung „Ja – Jetzt Innsbruck“ so gut abschneiden konnte und wir so viel verloren haben. Turskys Leistung, die er als Digitalisierungsstaatssekretär im Bund erbracht hat, hat den WählerInnen nicht gereicht. Es haben ganz andere Parameter gegolten, insbesondere Bürgernähe.

Verlieren etablierte Parteien wie die ÖVP möglicherweise den Zugang zu den Wählern?

Mattle Bürgerbewegungen haben in Tirol eine politische Tradition. Der ehemalige Innsbrucker Bürgermeister und spätere Landeshauptmann Herwig van Staa hat sich 1993 von der Innsbrucker ÖVP abgespaltet und die Bewegung „Für Innsbruck“ gegründet. Ex-AK-Präsident Fritz Dinkhauser zog mit der nach ihm benannten Liste Fritz 2008 in den Landtag ein. In Innsbruck war am Sonntag Hannes Anzengruber ein gutes bürgerliches Angebot. Aber im Sinne einer Bürgerbewegung, nicht einer Partei.

Welche Konsequenzen muss die ÖVP aus den Niederlagen in Salzburg und in Innsbruck für die Europa- und Nationalratswahlen ziehen? So weitermachen wie bisher wird sich wohl nicht spielen?

Mattle Mit der Listenvielfalt und 13 BürgermeisterkandidatInnen hatte Innsbruck eigene Gesetzmäßigkeiten, die sich so nicht auf die Europawahl oder die Nationalratswahl übertragen lassen. Trotzdem: Im ländlichen Raum ist die ÖVP wie keine andere Partei vernetzt, in den urbanen Räumen müssen wir hingegen die Bürgerinnen und Bürger besser abholen. Bei der Europawahl hoffe ich schon, dass sich alle Bürgerlichen ganz klar zu Europa bekennen. Die ÖVP ist die Europapartei schlechthin. Einfach wird es allerdings nicht, zumal in den Umfragen die europafeindlichen Freiheitlichen vorne liegen.

Apropos FPÖ. Sie haben sich bei der Landtagswahl 2022 ganz klar von ihr abgegrenzt. Gilt das auch für den Bund? In der ÖVP heißt es ja nur, dass mit FPÖ-Chef Herbert Kickl eine Koalition ausgeschlossen wird.

Mattle Das Nein zu Kickl tragen alle ÖVP-Länderchefs mit. Darüber hinaus geht es mir aber um inhaltliche Fragen. Die FPÖ bewegt sich keinesfalls in Richtung Mitte, sondern diskutiert beispielsweise nach wie vor über die Festung Österreich. Das ist für mich nicht europäisch.

Also bleibt für Sie nach der Nationalratswahl nur die Option SPÖ wie in Tirol?

Mattle Die Regierung mit der SPÖ in Tirol funktioniert sehr gut. Auch etwa in Kärnten. Obwohl derzeit Parteien an den politischen Rändern stärker werden, war es immer so, dass Parteien der Mitte wie ÖVP und SPÖ für den Wohlstand in Österreich gesorgt haben und auf die soziale Sicherheit schauen. Deshalb wäre eine Zusammenarbeit von ÖVP und SPÖ auch zukunftsträchtig. Auf Bundesebene habe ich aktuell allerdings schon ein Problem mit dem Kurs des SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler. Wie mit seiner Forderung nach einer 32-Stunden-Arbeitswoche. Da kann ich nicht mit.

Der Lkw-Transit beschäftigt Tirol schon seit Jahrzehnten, Italien hat bei der EU Klage eingebracht. Wird Italiens Vizepremier Matteo Salvini Erfolg haben?

Mattle Das Verkehrsproblem entsteht an der Grenze, nicht in Tirol. Im Norden warten 100 Millionen Menschen darauf, in den Süden zu reisen, nördlich und südlich von Tirol drängen zwei große Volkswirtschaften auf den freien Warenverkehr. So viel Verkehr kann unsere Region nicht aufnehmen. Von der Klage lassen wir uns nicht aus der Ruhe bringen, wir sind gut vorbereitet und verteidigen die Maßnahmen. Wir sind gesprächsbereit, aber nicht naiv. Mit Salvini ist keine Verkehrswende zu machen.

Zuletzt hatten wir 30 Grad im April. Hat der Wintertourismus in Tirol so noch Zukunft?

Mattle Der Wintertourismus hat viele Facetten, nicht nur Skifahren. Die Menschen werden auch in Zukunft noch im Winter Erholung suchen. Deshalb werden Wintertourismus und Skilauf weiterhin eine große Bedeutung haben. 

Aber in Lagen unterhalb von 1500 Metern wird es künftig wohl nicht mehr gehen?

Mattle Ja, der Skilauf wird sich wohl in höher gelegene Skigebiete verlagern.

Muss sich Tirol wegen des Klimawandels touristisch nicht neu erfinden?

Mattle Das ist ein ständiger Prozess. Wir setzen bereits Wachstumsgrenzen wie mit einer Obergrenze von 300 Betten für Beherbergungsbetriebe. Mit den Seilbahngrundsätzen haben wir zudem ein natur- und raumverträgliches Konzept mit einem Verbot neuer Skigebiete. Tourismus und Gastfreundschaft werden aber nach wie vor eine Grundkompetenz der Tiroler Wirtschaft bleiben.

Umweltverbände wie zuletzt Global 2000 kritisieren die Tiroler Energiepolitik. Ist Wasserkraft, wie der Ausbau des Kraftwerks Kaunertal, politisch überhaupt noch gewünscht?

Mattle Wer A sagt, muss auch B sagen. Wenn wir grüne Energie wollen, müssen wir sie auch selbst produzieren. Mir ist ein Wasserkraftwerk in Tirol lieber als Atomstrom aus Frankreich. Ganz verstehe ich das andauernde Dagegensein nicht. Bei jedem Projekt, von Wasserkraft bis zum Windrad, findet sich eine Initiative oder eine NGO, die poltert. Ohne Kompromisse werden wir die Energiewende nicht schaffen. Ich bekenne mich dazu, dass Tirol bei der Energie selbstständig wird, und arbeite weiter daran. Von den Zurufen aus Wien von WWF, Global 2000 und Co. lasse ich mich nicht abbringen.