Kommentar: Die Sehnsucht nach Ereignislosigkeit
Einmal ein Sommer mit einem richtigen Sommerloch, so wie das früher üblich war. Keine großen internationalen oder nationalen Krisen, keine schrecklichen Amokläufe oder Verbrechen, einfach nur gepflegte Fadesse. Als ich meinen beruflichen Weg Ende der 1990er-Jahre im Journalismus begonnen habe, war der Sommer eine Zeit, in der sich nicht nur die Menschen im politmedialen Betrieb, sondern alle noch etwas entspannen konnten, zumindest für ein paar Wochen. Das allgemeine Tempo verlangsamte sich und man musste nicht jeden Tag befürchten, dass ein neuer kriegerischer Konflikt oder Handelskrieg ausbricht. Natürlich war die Welt damals nicht besser, sie bewegte sich allerdings langsamer und schien damit beherrschbarer.
Heute sind wir alle auch in den Sommermonaten so wie im Rest des Jahres vor allem eines: gehetzt. Wir leben in einer schnellen, komplizierten Welt, in der man eben nicht klar vorhersagen kann, was morgen passieren wird und in der ein Innehalten offensichtlich nicht vorgesehen ist: Welche folgenreichen politischen Ideen wird Donald Trump haben? Wie geht es an den Kriegsschauplätzen im Nahen Osten und in der Ukraine weiter? Mit welchen Extremwetterereignissen müssen wir rechnen, wie können wir uns davor schützen?
Nach dem Befund des großen deutschen Soziologen Hartmut Rosa leben wir längst in der „Beschleunigungsgesellschaft“, die trotz technologischer Beschleunigungsraten von einem Mangel an Zeit geprägt ist. Die soziale Beschleunigung führt zum Verschwinden der „Weltbeziehungen“, wie es Rosa beschreibt. In dieser von Schnelligkeit geprägten Zeit, mit den immer schneller werdenden Zyklen, fehlt vielen die Kraft und die Möglichkeit, sich noch mit all der Information oder mit anderen Menschen tatsächlich auseinanderzusetzen. Es gibt einen spürbaren großen Wunsch nach Entschleunigung und Ereignislosigkeit: Dass endlich einmal einfach nichts ist, was Stress und Sorgen hervorrufen könnte.
„Aber was müsste sich wie ändern, um jenen unerbittlichen Zwang zu Wachstum,
Steigerung, Beschleunigung, der unsere Gesellschaften vorantreibt, zu überwinden? An dieser Frage offenbart sich eine kulturübergreifende Ratlosigkeit“ – das schrieb Hartmut Rosa schon vor einigen Jahren in einem „Zeit“-Essay. Bis man irgendwann vielleicht Antworten darauf findet, bleibt manchmal nur Eskapismus und Ausblenden der schwierigen Realität. Dennoch sollten wir uns auch bemühen, der Blick auf die Probleme und Nöte in der Welt nicht zu verlieren – damit auch das Verstehen der Welt nicht gänzlich verschwindet.
Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und ist Redaktionsleiterin von ORF.at.
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