„Mein Herz hat geweint und gelacht“

VN / 02.09.2025 • 16:16 Uhr
Moawia Posstajie kam Ende 2014 als anerkannter Konventionsflüchtling nach Vorarlberg. Mittlerweile ist er österreichischer Staatsbürger. HRJ
Moawia Posstajie kam Ende 2014 als anerkannter Konventionsflüchtling nach Vorarlberg. Mittlerweile ist er österreichischer Staatsbürger. HRJ Heidi Rinke-Jarosch

In der neuen Heimat wurde Moawia Posstajie von schweren Schicksalsschlägen getroffen.

Hard HARD Zwischen gehen wollen und gehen müssen, ist ein wesentlicher Unterschied. Moawia Posstajie musste. Wäre er in Syrien geblieben, hätte man ihn gezwungen zu kämpfen und zu töten. Er ist Krankenpfleger. Seine Aufgabe ist es, Menschen ins Leben zurück zu helfen, nicht, ihnen das Leben zu nehmen. Er entschied sich für die Flucht, die in Vorarlberg endete.

Zur Welt kam Moawia am 21. Mai 1982 in Harem, einer Kleinstadt im Nordwesten Syriens, nahe Idlib. Er wuchs mit zwei Brüdern auf. Nach der Matura trat er in den Polizeidienst ein. Sein Ziel war jedoch die Krankenpflegeausbildung. Auch nach deren Abschluss blieb er bei der Polizei – als Krankenpfleger. Nebenbei begann er ein Jurastudium.

2011 brach der Krieg in Syrien aus. Und der Einberufungsbefehl war da. Doch Menschen zu töten, dazu ist der Mann nicht fähig. „Zudem hatte meine Frau gerade unser drittes Kind zur Welt gebracht. Unsere Tochter Suha“, erzählt Moawia. Mit Suzan ist er seit 2006 verheiratet. Im Jahr darauf wurde Tochter Foghada geboren, 2008 Sohn Mohammed.

So floh Moawia mit seiner Familie in die Türkei. Zwei Jahre später erkannte er, dass eine Rückkehr nach Syrien für ihn ausgeschlossen war, und floh erneut. Diesmal ließ er Frau und Kinder in der Türkei zurück. Er durchquerte Bulgarien, Rumänien und Ungarn. Am 18. Dezember 2013 kam er in Wien an. Die nächsten Stationen: das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, dann Vöcklabruck in Oberösterreich, schließlich Vorarlberg. Seit 1. Dezember 2014 lebt der Konventionsflüchtling in Hard, wo er sofort im Pflegeheim als Heimhilfe angestellt wurde. Heute ist er dort als Diplomsozialbetreuer tätig – er hat die Schule für Sozialbetreuungsberufe in Bregenz sowie die Zusatzqualifikation Sozialpsychiatrie an der Kathi-Lampert-Schule absolviert.

Seine Familie durfte 2015 nachkommen. „War das schön, meine Frau und meine Kinder wieder umarmen zu können! Mein Herz hat geweint und gelacht.“ Die Familie lebte sich rasch ein. Suzan arbeitet längst als Hilfslehrerin im Sonderpädagogischen Zentrum in Lustenau, Foghada und Mohammed gehen in die HTL, Suha ist Mittelschülerin.

Oktober 2017. Kaum war die damals sechsjährige Suha eingeschult, erkrankte sie schwer. Die Diagnose: Leukämie. „Wir waren in Sicherheit vor dem Krieg. Dann diese Nachricht“, sagt der Vater mit belegter Stimme. Zwei Jahre und zwei Monate Chemotherapie folgten. Behandelt wurde das Kind in der Uniklinik Innsbruck und im Krankenhaus Dornbirn. „Es war eine schwere Zeit für Suha“, erinnert sich Moawia, „aber sie hat es geschafft. Sie wurde gesund.“ Es war auch eine schwere Zeit für ihn und Suzan. Geholfen habe ihnen das empathische medizinische Personal in beiden Spitälern, aber auch der Kontakt mit anderen betroffenen Eltern, betont Moawia. „Geteilte Schmerzen sind leichter erträglich.“

Der nächste Schicksalsschlag traf die Familie Posstajie am 6. Februar 2023, als ein schweres Erdbeben in Syrien und der Türkei mehr als 62.000 Tote forderte. Auch ein großer Teil von Harem wurde zerstört. Moawias jüngerer Bruder, dessen Frau und die drei kleinen Kinder wurden tot unter den Trümmern ihres eingestürzten Hauses geborgen. Moawias Cousin und dessen vier Kinder starben. Und Suzans Onkel, Tante, Cousine mit ihren vier Kindern – alle tot. Moawia rief umgehend eine Hilfsaktion für Erdbebenopfer ins Leben: „Ich war überrascht, wie viel Unterstützung wir bekommen haben. Auch von Menschen, die wir gar nicht kannten.“

Heimweh nach Syrien? „Nein“, antwortet er. „Österreich ist jetzt meine Heimat. Die Vergangenheit ist meine zweite Heimat.“

Moawia Posstajie hat für sich und seine Familie in Hard eine neue Heimat gefunden. HRJ
Moawia Posstajie hat für sich und seine Familie in Hard eine neue Heimat gefunden. HRJ
Weiterbildung ist für den Krankenpfleger und Sozialbetreuer wichtig. Im Übrigen schreibt er gerade ein Buch über Demenz. HRJ
Weiterbildung ist für den Krankenpfleger und Sozialbetreuer wichtig. Im Übrigen schreibt er gerade ein Buch über Demenz. HRJ
Eine Partie Schach mit Ehefrau Suzan. Die Lehrerin arbeitet im Sonderpädagogischen Zentrum in Lustenau. HRJ
Eine Partie Schach mit Ehefrau Suzan. Die Lehrerin arbeitet im Sonderpädagogischen Zentrum in Lustenau. HRJ
Flucht, ein schwer erkranktes Kind, der Verlust naher Angehöriger bei einem Erdbeben: Moawia Posstajie musste in den vergangenen Jahren viel durchmachen. HRJ
Flucht, ein schwer erkranktes Kind, der Verlust naher Angehöriger bei einem Erdbeben: Moawia Posstajie musste in den vergangenen Jahren viel durchmachen. HRJ