Thomas Matt

Kommentar

Thomas Matt

Streiflicht: Wisch und weg

VN / 07.10.2025 • 14:00 Uhr

Vielleicht wäre Julian ganz nett. Sie wird es nie erfahren, denn sie hat ihn schon weggewischt. Am Handy. Sieht ja niemand. Der war bestimmt übergewichtig! Er schrieb: „Lese gerne!“ Also eine Couch-Kartoffel, die das Wochenende vor dem Bildschirm verbringt. Bücher lesen? Von wegen! Sie hatte die paar Zeilen kaum gelesen und schon ein klares Bild im Kopf. Geht gar nicht! Schon setzte der Zeigefinger einen Schlussstrich.

Das wäre ja fast, als würde man einen Typen in der S-Bahn anreden. Den, der jeden Morgen in Rankweil aussteigt? Ja, der wäre schon – wie sagt ihre Freundin? – ein „Schnittchen“. Gestern hat er einer alten Dame seinen Platz abgetreten. So nett! Der liest wirklich manchmal. Gestern hat er Musik gehört. Sie hätte zu gerne mitgelauscht.

Ihre Mutter sagt ja, dass sie früher die Typen einfach angequatscht haben. Gott, wie peinlich! Sie haben daraus einen Sport gemacht, wer die beste Anmache parat hatte. Und dann? Reagiert der nicht oder hat einen Ring am Finger! Das stell man sich mal vor! Nein, ihr Zeigefinger war während des kleinen Gedankenspiels sehr aktiv. Erst, wenn einer alle Anforderungen erfüllt, wird sie sich aus der Deckung wagen. Digital, versteht sich. Denn analoge Überraschungen würde sie kaum verkraften.