Streiflicht: Stille Unruhe im Advent
„Es gibt so wunderweiße Nächte“, schrieb Rainer Maria Rilke 1896, „drin alle Dinge Silber sind.“ Er hatte in diesem Jahr in München begonnen, Philosophie zu studieren. Vielleicht war er schon verliebt, als er die Zeilen niederschrieb. Im Herbst lernte er die Liebe seines Lebens kennen. Seitdem ziert sein kurzes Gedicht jeden Advent. Auch 139 Jahre später noch stößt Rilke damit die Tür auf ins Reich der Sehnsucht.
Sie wohnt in allen. Manche hängen ihr tagträumerisch nach, andere suchen sie materiell zu stillen. Sie ist ein Ganzjahresereignis. Doch die Sehnsucht, die sich funkelnd am Ringfinger oder mit Schweinsledersitzen und Pferdestärken erfüllt, ist kaum gemeint. Jener Sehnsucht, die in stillen, dunklen Nebengässchen der glühweinschwangeren Adventsmärkte laut wird, geben wir nur selten Raum unterm Jahr.
Sie bringt den Menschen aus dem Gleichgewicht. Diese Sehnsucht lässt, so harmlos sie scheint, ganze Lebensentwürfe erzittern. Sie hätte so gern eine Antwort auf den Sinn der durchgearbeiteten Jahre. Sie sucht in der verwirrenden Welt nach jener Sicherheit, die Psychologen Urvertrauen nennen. Das kann der Glaube schenken. Er braucht dafür kein konfessionelles Überkleid. Rilke schreibt: „Und in die Herzen, traumgemut, steigt ein kapellenloser Glaube, der leise seine Wunder tut. “
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