Kindheit an einem Schreckensort

VN / 30.12.2025 • 13:51 Uhr
Die gebürtige Kroatin Maria Walch lebt seit 1944 in Österreich. HRJ
Die gebürtige Kroatin Maria Walch lebt seit 1944 in Österreich. Heidi Rinke-Jarosch

Schloss Hartheim in Oberösterreich spielt eine prägende Rolle in Maria Walchs Leben.

FELDKIRCH-NOFELS Maria Walch war fünf Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus Kroatien floh. Ein Ort hat sich ihr besonders eingeprägt: Schloss Hartheim in Oberösterreich. Dort lebte sie 1945 ein halbes Jahr lang als Flüchtlingskind. Damals wusste sie noch nicht, dass dieser Ort kurz zuvor Schauplatz systematischen Mordens gewesen war.

Maria Walch hat in Feldkirch-Nofels eine neue Heimat gefunden. HRJ
Maria Walch hat in Feldkirch-Nofels eine neue Heimat gefunden. HRJ

Als Maria am 13. August 1939 geboren wurde, war Europa bereits aus den Fugen geraten. Maria Benno – so ihr Mädchenname – wuchs in Novaki auf, einem Ort nahe der Stadt Podravska Slatina in Kroatien. Der jugoslawische Teilstaat wurde nach dem Überfall deutscher Truppen am 6. April 1941 zu einem unabhängigen Satellitenstaat des Deutschen Reichs.

Konvoi nach Österreich

Im Oktober 1944 packte Marias Mutter einen Planwagen, spannte das Pferd Sokol an und verließ mit ihren vier Kindern das Land. Der Vater war im Jahr zuvor gestorben. „Wir schlossen uns einem Flüchtlingskonvoi an“, erinnert sich Maria. Ziel war Österreich, konkret das 65er Lager in Linz-Niedernhart. Dort wurde ihrer Mutter die Möglichkeit angeboten, nach Kanada oder in die USA auszuwandern. Sie entschied sich jedoch dafür, in Österreich zu bleiben.

Die 86-jährige Witwe bereitet Tee zu. Sie macht noch alles in ihrem Haus selbst. HRJ
Die 86-jährige Witwe bereitet Tee zu. Sie macht noch alles in ihrem Haus selbst. HRJ

„Noch heute verfolgt mich der Gedanke, dass ich einmal in diesem Gebäude gewohnt habe.“

Maria Walch, Pensionistin

Im Juni 1945 wurde die Familie gemeinsam mit anderen Geflüchteten ins Schloss Hartheim nach Alkofen gebracht. Die Nationalsozialisten hatten die ehemalige Pflegeanstalt für Menschen mit geistiger Behinderung zu einer Tötungsanstalt umfunktioniert. Zwischen Mai 1940 und Dezember 1944 wurden dort rund 30.000 Menschen ermordet. Menschen mit Behinderungen, Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge. Nach Kriegsende nutzten die US-amerikanischen Besatzungstruppen das Schloss als Flüchtlingsunterkunft. Maria war bereits erwachsen, als sie erfuhr, was sich während des Krieges in Hartheim zugetragen hatte. „Das hat mich stark geprägt. Noch heute verfolgt mich der Gedanke, dass ich einmal in diesem Gebäude gewohnt habe.“

Mental hält sich Maria Walch hauptsächlich durch Lesen fit. HRJ
Mental hält sich Maria Walch hauptsächlich durch Lesen fit. HRJ

Im Herbst 1945 verließ die Familie Benno Oberösterreich und kam nach Vorarlberg. Zunächst lebten die fünf Personen in einem Flüchtlingslager in Bregenz-Vorkloster, dann in einem Zimmer im Gasthaus Germania, später erneut in einem Lager in Vorkloster. „Nach einer Zwischenstation im Kleinwalsertal zogen wir nach Feldkirch-Nofels. Da sind wir geblieben.“ Dort wohnt Maria heute noch.

Durch die häufigen Ortswechsel musste sie mehrmals Klassen wiederholen und beendete schließlich mit 14 Jahren ihre Schulzeit. Sie fand eine Anstellung bei der Firma Kunert. Als später jugoslawische Gastarbeiter nach Vorarlberg kamen, arbeitete sie zudem für die Gendarmerie als Übersetzerin.

Den Arbeitsplatz ihres verstorbenen Mannes Walter hat Maria Walch nicht verändert. HRJ
Den Arbeitsplatz ihres verstorbenen Mannes Walter hat Maria Walch nicht verändert. HRJ

Bei Kunert lernte sie auch ihren späteren Ehemann Walter Walch kennen. „Er war Musiker, spielte Gitarre, Trompete, Klavier und Saxophon“, sagt sie über den Mann, den sie 1962 heiratete. Das Paar bekam drei Kinder: 1970 kam Tochter Bettina zur Welt, 1973 folgte Sohn Christian, 1976 Sohn Wolfgang. Walter Walch starb am 1. August 2010 im Alter von 76 Jahren. Maria trauert noch immer um ihn. „Er fehlt mir sehr.“ Dennoch blickt sie optimistisch auf ihr Leben: „Mir geht es gut. Ich mache im Haus alles noch selbst, bin geistig fit, lese viel, fahre noch Auto. Ich bin allein, aber nicht einsam.“ Dennoch ist die Freude groß, wenn Kinder und Enkel zu Besuch kommen.

Spuren des Krieges

In Novaki war Maria zuletzt vor zehn Jahren – mit ihrem Sohn Wolfgang. Sie fand einen Ort vor, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein schien, und in dem noch immer Spuren des Jugoslawienkriegs sichtbar waren. Den Ausbruch des Jugoslawienkriegs 1991 hat sie nie verstanden: „Lange lebte man dort zusammen, und plötzlich verstand man sich nicht mehr. Warum?“