Das Kausystem ist einStressbeantwortungsorgan

Text: Jasmin Quast
Zahnärztin Prof. DDr. Irmgard Simma ist eine Frau, die die Grenzen der traditionellen ZahnÂmedizin ĂĽberschreitet und den Menschen in seiner Ganzheit – von Kopf bis FuĂź – betrachtet. Ein Interview ĂĽber gesellschaftliche Veränderungen und kĂĽnftige Therapieansätze.
Frau Prof. DDr. Simma, wie sind Sie zur Zahnmedizin gekommen und was motiviert Sie in Ihrem Beruf?
Bereits als Kind hegte ich ein großes Interesse an der Medizin und dem Arztberuf. Daher entschied ich mich für ein Medizinstudium. In der Zahnmedizin schätzte ich es sehr, einen kleinen überschaubaren Fachbereich zu haben, den man rasch erlernt und schnell in die Praxis umsetzen kann und der von der Zeiteinteilung familienfreundlich gestaltbar ist.
Gibt es besondere Behandlungsmethoden oder Technologien in der Zahnmedizin, die Sie bevorzugen oder fĂĽr besonders zukunftsweisend halten?
Im Zuge der Praxis hat sich für mich bald erwiesen, dass Mund und Zähne ein wichtiges Eingangstor für den ganzen Körper sind und dass sich daraus, aufgrund der systemischen Zusammenhänge und Wechselwirkungen, eine sehr umfassende Sicht auf die Zahnmedizin und den Menschen ergibt. Diese Denkweise kann auch in zukunftsweisenden Therapien umgesetzt werden und bildet einen funktionellen Brückenschlag zwischen wissenschaftlich dokumentierbarer Schulmedizin und Komplementärmedizin, wie es durch spezielle Schienen und Mundakupunktur zum Ausdruck kommt.
Hat der Stress, der viele Beschwerdebilder auslöst, Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren zugenommen?
Stresssituationen haben auf jeden Fall zugenommen, die auch an den Beschwerdebildern der Zähne ablesbar sind. Das Kausystem ist ein Stressbeantwortungsorgan. Es ist in optimaler Bisslage durchaus geeignet, Stress zu beantworten und zu verarbeiten. Bei Überforderung treten aber viele Symptome im und außerhalb des Kausystems, wie z.B. Spannungskopfschmerzen, CMD (Craniomandibuläre Dysfunktionen) oder Zahnfehlstellungen auf.
Welche spezifischen Herausforderungen haben Sie als Frau in der Zahnmedizin erlebt?
Fachlich gibt es keine Unterschiede zwischen Mann und Frau in der Medizin. Aber wir Frauen stehen natĂĽrlich häufiger vor der Herausforderung, den vielfältigen Aufgaben der Frauen- und einer ÂMutterrolle gerecht zu werden – insbesondere im Hinblick auf das Zeitmanagement.
Und wie schaffen Sie das? Sie sind ja nicht nur Zahnmedizinerin, sondern u. a. auch Präsidentin der Gesellschaft für Ganzheitliche Zahnheilkunde (ÖGZMK) und die Organisatorin der „Festspielgespräche“ – bleibt da überhaupt noch Zeit für die Familie?
Ein organiÂsiertes Leben lässt sich auf jeden Fall fĂĽhren, wenn man Freude, Interesse und die nötige Motivation dafĂĽr hat. DarĂĽber hinaus gelingt mir dies aber vor allem auch dank meiner kompetenten Mitarbeiter:innen und dem Verständnis seitens der Familie.
Gibt es weibliche Vorbilder in der Zahnmedizin oder anderen Bereichen, die Sie inspiriert haben?
Inspiriert haben mich schon als Jugendliche die Berichte über wissenschaftliche Tätigkeiten und Forschung von Marie Curie oder Elena Djerassi, die mich vor allem durch die Wissenschaft, ihren Forschergeist und ihr öffentliches Auftreten beeindruckt haben.
Welchen Rat wĂĽrden Sie jungen Frauen geben, die eine Karriere in der Zahnmedizin anstreben?
Für die Karriere der Frauen in der Zahnmedizin bestehen vielfältige Möglichkeiten. Darüber hinaus glaube ich, dass Frauen insbesondere bei Kindern eine intuitivere funktionelle Sichtweise einen einfühlsameren Zugang haben. Zu den bekannten Praxisaufgaben besteht zudem die Aufgabe, Form und Funktion bei der Entwicklung des Kausystems zu beobachten, sich Therapien zu erleichtern und CMD-Symptomen vorzubeugen und damit einen entscheidenden Beitrag zur Eigenverantwortung und Gesundheitsförderung zu leisten.

Zur Person: Prof. Dr. med. univ. Dr. med. dent. Irmgard Simma
Sie ist Zahnärztin aus ÂLeidenschaft, Autorin zahlreicher FachpublikaÂtionen (Buch: „Ordnung im Mund macht gesund“) und Expertin im ÂBereich der ganzÂheitlichen ÂZahnheilkunde und ÂKieferorthopädie mit Âeigener Praxis in ÂBregenz.
DarĂĽber hinaus engagiert sich Prof. Simma als ÂPräsidentin der Ă–GZMK, hält Lehraufträge an Ânamhaften Universitäten und fördert den fachlichen ÂAustausch durch die ÂOrganisation von Kursen, Kongressen sowie den „Festspielgesprächen“.
Fotos: shutterstock, Praxis Prof. DDr. Irmgard Simma