Drogendeal und ein Massaker

Vorarlberg / 13.09.2013 • 20:49 Uhr
Blick in die Todeskammer. Auf dieser Liege erhalten die Delinquenten die Giftspritze. Foto: APA
Blick in die Todeskammer. Auf dieser Liege erhalten die Delinquenten die Giftspritze. Foto: APA

Aber Marion Dudley beteuert seine Unschuld. Vergeblich. Er wird zum Tod verurteilt.

Schwarzach. Marion Dudleys erster Brief erreicht mich am 17. Mai 2001. Mehrere Wochen, nachdem ich ihm geschrieben hatte. Er schreibt auf gelbem, liniertem Papier. Vier volle Seiten, klein geschrieben. Ich war natürlich überrascht, hatte nicht mehr mit einer Antwort gerechnet. Und schon gar nicht mit einer wie dieser.

Er ging einleitend auf alles ein, was ich ihm in meinem ersten Schreiben mittgeteilt hatte. Auf meinen Beruf, auf meine Liebe für den Sport. Auch auf die Bedeutung von Humor, über die ich mich in meinem ersten Brief ausließ, und mich kurz danach schämte, als ich den Brief bereits verschickt hatte. Wie naiv, einem Todeskandidaten die Vorzüge von Humor näher bringen zu wollen. Dudley fand’s amüsant, stimmte mir zu. Ich war froh.

Großes Wissen

Der „Death Row Inmate“ schrieb viel über Politik und George Bush. Und das sehr analytisch und klug. Er reflektierte über die Zweiklassengesellschaft in den USA, über die wenigen Reichen und die vielen Armen. Er analyisierte die Wesensmerkmale von Demokraten und Republikanern.

Er outete sich als jemand, der gerne die Demokraten gewählt hätte. Er schrieb über New York als eine der liberalsten Städte in den USA und beschrieb den „Big Apple“ in einer Weise, dass man hätte glauben können, er habe dort gelebt. Marion Dudley schrieb so, dass man beim aufmerksamen Lesen vergessen wollte, wer er eigentlich ist: ein zum Tode verurteilter Vierfachmörder, der ein Gnadengesuch nach dem anderen einreicht und doch unweigerlich Schritt für Schritt seinem Ende näher kam. Oder doch nicht?

Dudleys Version

Am Ende von Seite zwei fing Dudley an, über sich zu schreiben. „Ich werde nie den Glauben verlieren und aufhören, für meine Freiheit zu kämpfen. Ich war immer ein Kämpfer für das, woran ich glaube, und es gibt nichts, was mich jetzt stoppen könnte. Ich habe eine Unschuldsbehauptung beim Berufungsgericht laufen.“

Und dann schilderte er seine Version des Verbrechens, das in Houston passierte und mit dem Tod von vier Menschen endete. Er sei ein Drogendealer gewesen und in jenem Haus, in dem die Morde passierten, habe eine Frau mit ihrer Familie gelebt, die ihm aus einem Drogendeal Geld schuldete. Doch er sei in der Tatnacht gar nicht dort gewesen. Eine Überlebende des Massakers habe in ihrer ersten Aussage erklärt, sie habe die Täter nicht erkannt. „Dann änderte sie ihre Geschichte. Würde sie die Wahrheit sagen, wären ich und meine Freunde frei.“

Der Prozess

Dudleys subjektive Stellungnahme zur Tat ist die eine Sache, seine Schilderung der Verhandlung eine andere – objektiv nachvollziehbarere. Wie alle mittellosen Delinquenten bekam er einen vom Staat Texas gestellten, schlecht bezahlten Pflichtverteidiger. Dudley berichtete, wie sein Anwalt vergaß, gerichtliche Ladungen für Entlastungszeugen zu verschicken, wie Beweismittel vom Staatsanwalt zurückgehalten wurden, wie angebliche Augenzeugen der Flucht vom Tatort erst angaben, niemanden erkannt zu haben und dann später ihn als Flüchtenden identifizierten. „Dieser Zeuge fragt dann im Gerichtssaal laut, wann er denn nun sein Geld für die Aussage bekommen würde“, schrieb mir Dudley in einem zweiten Brief. Marion Dudley – ob nun schuldig oder nicht schuldig – hatte keine Chance. Er wurde des brutalen und vorsätzlichen Mordes für schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Ebenso sein Kumpel Arthur Brown, während der dritte Angeklagte, Antonio Dunson, mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe davonkam.

Für Marion Dudley begann die Zeit in der Todeszelle des Hochsicherheitsgefängnisses von Livingston, Texas.

Ich war immer ein Kämpfer für das, woran ich glaube.

Marion Dudley