Als auf einmal die Angst ging und der Stolz kam

25 Jahre Wackersdorf. Niemals vergisst Hildegard Breiner (78), was sie damals erlebte.
Bregenz. Hildegard Breiner, Ikone des Widerstands gegen die Atomkraft, legt zwei Ansteckbroschen aus Ton auf den Tisch. Dann zieht sie aus einem Karton ein Stück kantigen Metalldraht mit messerscharfen Spitzen heraus. „Den haben sie damals zwischen den Gitterstäben aufgerollt.“ Stumme Zeugen des Protests von Tausenden Atomkraftgegnern im oberpfälzischen Wackersdorf. Mitten im Wald wollten deutsche Energiekonzerne eine Wiederaufbereitungsanlage für verbrauchte Atombrennstäbe bauen. Ein Sturm der Entrüstung mit massiven Großdemonstrationen vor Ort ist die Folge. Die Widerständler siegen nach vier Jahren. Im April 1989 wird das Projekt für beendet erklärt. Vor 25 Jahren.
Nur noch gekrächzt
„Zu Pfingsten 1985 war ich mit meinem Mann und vielen anderen Vorarlberger Atomkraft-Gegnern zum ersten Mal dort. Bereits an der Grenze wurden wir eine Stunde lang gefilzt und überprüft. In Wackersdorf selbst war es unvorstellbar. Eine hermetisch abgeriegelte Riesenbaustelle. Rundherum Stacheldraht, dahinter standen die Polizeitrupps und Wasserwerferfahrzeuge. Plötzlich wurde Wasser gespritzt. Ebenfalls unvermittelt öffneten sich immer wieder die großen Tore und Polizisten mit Helmen und Schutzschilden stürmten auf die Menge los. Und dann das Tränengas. Ich kann mich erinnern, wie ich einmal auf einem Baumstumpf saß und nur noch krächzte. Das Gas hatte die Schleimhäute angegriffen, die Augen brannten höllisch.“ Fotografisch genau hat Hildegard Breiner noch heute viele Bilder von damals gespeichert.
Die brennenden Augen
Dazu gehörte jenes vom jungen Mann, welcher der damals gut Fünfzigjährigen Wasser zum Ausspülen der brennenden Augen reichte. „Er blickte mich an und sagte: ‚Was, da sind ja auch ältere Personen, die sich für diese Sache einsetzen. Wir bräuchten noch viel mehr von Ihrer Sorte.‘ Das hat mir schon sehr gefallen.“ Ewig in ihrer Erinnerung eingebrannt ist auch ein anderer Moment: „Es passierte während einer späteren Großdemonstration. Ich war nicht mehr so eingeschüchtert, wie am Anfang. Im Gegenteil. Da stürmte ein Trupp Polizisten auf mich zu. Ich hatte keine Angst, schritt ihnen erhobenen Hauptes entgegen. Und sie wichen mir aus, rannten links und rechts an mir vorbei. Ein unglaubliches Gefühl von Stolz und Würde kam da in mir hoch.“
Vielzahl von Erlebnissen
Positive Gefühle begleiteten das gesamte Wackersdorf-Engagement des Ehepaars Hildegard und Franz-Viktor Breiner. In Vorarlberg scharte das Paar mehrere Gleichgesinnte um sich. Es entwickelte sich ein einmaliger Gemeinschaftsgeist. „Mich hat besonders gefreut, wie viele junge Menschen sich idealistisch unserer Haltung anschlossen und sich mit voller Überzeugung gegen die Atomgefahr engagierten“, beschreibt die Russ-Preis-Trägerin ein bedeutendes Stück ihrer persönlichen Geschichte. In Wackersdorf zählten dazu nicht nur die schmerzlichen Kontakte mit der deutschen Staatsmacht während der Großdemonstrationen. „Wir machten damals ja auch einfach nur Wanderungen rund um die Baustelle. Da gab es dann auch Andachten, in denen Geistliche auch die Polizisten in ihre Gebete mit aufnahmen. Man muss ja wissen: Rund 70 Prozent der damals für die Atomkonzerne im Einsatz befindlichen Beamten, waren innerlich ja auf unserer Seite. Deswegen holte man ja auch Einheiten aus Berlin her. Sie gingen rücksichtslos gegen uns vor. Die Polizisten aus der Region verweigerten eine derartige Vorgehensweise.“
Nicht weniger als 17 Mal war Hildegard Breiner in Wackersdorf. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl für sie und die ihren, als das Projekt im April 1989 für beendet erklärt wurde.






Wackersdorf war für mich wie Bürgerkrieg. Viel ärger als im Fernsehen, ein kriegsähnliches Szenario. Aber ich bin heute stolz darauf, damals ein kleines Rädchen der Bewegung gewesen zu sein. Ich arbeite heute am Energieinstitut. Wackersdorf hat das beeinflusst.

Wackersdorf hat für mich zwei prägende Eindrücke hinterlassen. Zum einen war das die Nähe zum Ehepaar Breiner mit ihrem entschlossenen Engagement. Zum anderen bleibt mir der brutale Einsatz der Polizisten aus Berlin unvergessen. Ein traumatisches Erlebnis.

