Die Schrift ist ein Blick in die Seele

Vorarlberg / 17.06.2014 • 19:01 Uhr
Die verbundene Schreibschrift ist aus den Vorarlberger Volksschulen nicht wegzudenken.   Foto: VN
Die verbundene Schreibschrift ist aus den Vorarlberger Volksschulen nicht wegzudenken.  Foto: VN

Die Schreibschrift verliert an Bedeutung. Dabei wäre sie vor allem für Kinder wichtig.

Schwarzach. In den deutschen Städten Bremen und Hamburg haben die regionalen Schulbehörden einen administrativen Meilenstein gesetzt: Sie haben verfügt, dass Kinder nicht mehr die Schreibschrift lernen. Für viele Eltern, Lehrer und Erzieher ein fatales Zeichen. Eine bedingungslose Kapitulation vor den vermeintlichen Segnungen des Computer- und Handyzeitalters, in dem so etwas Individuelles wie die verbundene Schreibschrift als nicht mehr notwendig erachtet wird.

Mehr „gesudelt“

„Das Lernen der Schreibschrift ist für uns nach wie vor etwas Selbstverständliches. Es macht den Kindern auch Spaß“, erzählt Erich Konzett (60), Volksschullehrer seit Jahrzehnten und als solcher mit den ersten schriftlichen Äußerungen der ABC-Schützen bestens vertraut. Verändert hat sich bei den Kleinen im Laufe der Jahre allerdings doch so manches. „Die manuellen Fertigkeiten haben nachgelassen. Man merkt, dass die Kinder immer weniger handwerklich gefordert sind. Das wirkt sich auf die Motorik aus. Viele können nicht mehr einen geraden Strich ziehen oder einen Kreis zeichnen“, ist dem erfahrenen und beliebten Volksschullehrer nicht entgangen. Laut Konzett können immer weniger Kinder wirklich schön schreiben. „Es wird mehr herumgekripselt und gesudelt.“ Dabei, so glaubt der erfahrene Pädagoge, sei den Kindern die Liebe zu gehobener Schreibschrift grundsätzlich nicht abhanden gekommen. „Ich habe vor einigen Jahren noch Kurse für alte Schriften wie Kurrent angeboten. Die sind sehr gut angenommen worden.“

Schlechtere Motorik

Überhaupt nicht zur Diskussion stünde auf heimischen Lehrplänen das Lehren und Lernen der verbundenen Schreibschrift, stellt Judith Sauerwein (42), Pflichtschulinspektorin und früher selbst Volksschullehrerin, klar. „Die verbundene Schreibschrift ist ein Kulturgut, das unverrückbar im Lehrplan verankert ist.“ Das einzige, das sich beim Lernen verändert hat: „Die Kinder lernen zuerst die Druckschrift und danach erst die verbundene Schrift. Bis zum Ende des zweiten Schuljahres sollten die diesbezüglichen Kompetenzen vorhanden sein“, erklärt Sauerwein. Auch die Inspektorin spricht vom zunehmenden Nachlassen der motorischen Fähigkeiten bei Kindern, mutmaßlich verursacht durch den übertriebenen Konsum von Fernsehen und Computer. „Feinmotorik und Grobmotorik lassen nach. Ich kann da nur an die Eltern appellieren: Animieren Sie Ihre Kinder zum Kneten, Basteln. All das sind Vorübungen und fördern die Motorik und den Rhythmus des Schreibens.“ Für Judith Sauerwein ist die verbundene Schreibschrift auch deshalb von unschätzbarem Wert, weil sie einen Ausdruck von unverwechselbarer Individualität darstellt. In dieselbe Kerbe schlägt auch der Leiter der Schulpsychologe im Landesschulrat, Walter Bitschnau. Er stellt sich darüber hinaus auch die praktische Frage: „Wie soll man einmal Unterschriften leisten, wenn es keine echte Schreibschrift mehr gibt?“

Von dekorativ zu schlicht

Die Schrift, so wissen vor allem Grafologen, ist ein Seelenbild des Menschen. „,Du schreibst wie du bist‘. Das ist eine altbekannte Weisheit, die auch zutrifft“, sagt die diplomierte Grafologin Eva Maria Brunner (61). Man könne aus der Schrift zwar nicht schließen, ob ein Mensch gut oder schlecht ist, „aber man kann Rückschlüsse auf gewisse Charaktereigenschaften ziehen“. So würden introvertierte und etwas ängstliche Menschen sehr klein und eng schreiben, nach außen gekehrte Zeitgenossen hingegen offen und groß. Aus dem Schriftbild lasse sich erkennen, wer hektisch sei und wer ruhig. Der Hektische schreibt unruhig und abgehackt, der Gelassene rund und rhythmisch. Die Schrift als Blick in die Seele liefert natürlich auch Kriminologen und Psychologen Aufschlüsse.

Klar ist: Die heute vermittelte Schreibschrift ist schlichter geworden. Wurden früher noch dekorativ-kunstvolle Kurrentschriften regelrecht zelebriert, so nimmt sich die 1995 eingeführte österreichische Schulschrift im Vergleich dazu geradezu simpel aus.

Die manuellen Fertigkeiten haben nachgelassen.

Erich Konzett
Eine Kinderschreibschrift ist unverwechselbar.    VS Schruns
Eine Kinderschreibschrift ist unverwechselbar.    VS Schruns