“Nichts mit Religion zu tun”

In Wien hätten Muslime verstärkt mit Vorurteilen zu kämpfen, in Vorarlberg noch nicht.
Schwarzach. Abdi Tasdögen ist Vorsitzender der Islamischen Religionsgemeinde Bregenz der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) für das Bundesland Vorarlberg. Seiner Meinung nach werden in Vorarlbergs Moscheen keine Jugendlichen radikalisiert. Er ortet kein Problem des Islam, sondern eines von jungen Menschen ohne Orientierung.
Islamexperte Thomas Schmidinger sagte in einem VN-Interview, dass die Radikalisierung Jugendlicher in Vorarlberg speziell aus Deutschland erfolgt. Stimmt das?
Tasdögen: Davon ist mir nichts bekannt. Ich gehe davon aus, dass es nur eine Vermutung ist, weil Vorarlberg neben Deutschland liegt. Sehr interessant, dass Thomas Schmidinger von Wien aus solche Behauptungen von sich gibt.
Wie steht es in Vorarlberg um die Radikalisierung islamischer Jugendlicher?
Tasdögen: Diese Menschen bekommen in den Vorarlberger Moscheegemeinden keine Chance. Ich bin seit 13 Jahren in meiner Position und mir ist kein Fall bekannt, der mit Radikalisierung zu tun hat. Man hört immer wieder von „Muslimen“, die in diverse Vorfälle verwickelt sein sollen. Das sind Einzelgänger, die haben nichts mit den einzelnen islamischen Gemeinschaften zu tun. Vorarlberg ist in diesem Sinne ein sicheres Land.
Es gibt vier bestätigte Fälle von Vorarlbergern, die in den Krieg gezogen sind. Sind die Ihnen bekannt?
Tasdögen: Nein, ich kenne weder diese Personen noch deren Familien. Ich habe es über die VN und über Landesrat Schwärzler erfahren, mit dem wir uns regelmäßig austauschen. Ich gehe davon aus, dass es sich um Konventionsflüchtlinge handelt. Ich bekomme selbst mit, dass es mit dieser Personengruppe manchmal Probleme gibt. Aber es ist sicherlich keine Gemeinschaft, das würde uns sofort auffallen.
Können Sie sich vorstellen, dass auch in Vorarlbergs Gebetsräumen IS-Propaganda betrieben wird?
Tasdögen: Nein. Das ist eine überflüssige Frage, in Vorarlberger Moscheegemeinden gibt es so etwas nicht. Es handelt sich um Einzelgänger, das hat auch der zuständige Landesrat bestätigt. Dank der guten Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen gibt es sowieso fast keine Probleme im Ländle.
Warum sind Jugendliche dafür empfänglich?
Tasdögen: Es handelt sich um Jugendliche, die nach allem Möglichen, aber nicht nach Religion suchen. Sie sind am sozialen Rand, haben Identitätsprobleme, sind traumatisiert und suchen nach Befriedigung, Heldentum, Abenteuer und Anerkennung. Sie sind über das Internet einfach zu beeinflussen.
Ist die Radikalisierung Jugendlicher in der islamischen Glaubensgemeinschaft ein großes Thema?
Tasdögen: Eigentlich nicht. Diese Jugendlichen waren nie in der Gemeinschaft und praktizieren ihre Religion nicht. Sie kennen die Religion kaum und glauben alles, was man ihnen sagt.
Hat die Glaubensgemeinschaft Präventionsmaßnahmen ergriffen?
Tasdögen: Das Herbstprogramm steht ganz im Zeichen der Aufklärungsarbeit über Extremismus. Diese Arbeiten werden öffentlich leider zu wenig wahrgenommen.
Wie beurteilen Sie den Krieg in Syrien und im Irak?
Tasdögen: Er ist erschreckend und auch ernst zu nehmen. Die Religion ist selbstverständlich nur ein Deckmantel, um bestimmte Ziele zu erreichen. Es sagt viel aus, wenn man hört, dass Waffen, die eigentlich der Freien Syrischen Armee geliefert wurden, in die Hände des IS gelangt sind. Und nun wollen die Supermächte erneut bestimmte Gruppen aufrüsten. Ich halte das für keine gute Lösung. Wer weiß, in welchen Händen wir diese neuen Waffen sehen werden.
Wie konnte der IS so stark werden?
Tasdögen: Die Welt hat zu lange zugesehen, wie in Syrien Menschen getötet werden. Davon haben Gruppen wie der IS profitiert. Dem IS muss klar vermittelt werden, dass er von Muslimen abgelehnt wird. Der IS vertritt keinesfalls die Muslime, dazu hat er gar kein Recht.
Werden Sie oft aufgefordert, sich zu distanzieren?
Tasdögen: Sehr oft. Und zwar immer, wenn Politik und Medien versuchen, bei den Menschen Angst zu schüren. Immer, wenn Leute mit verantwortungslosen Äußerungen den sozialen Frieden gefährden, müssen wir uns zu Wort melden.
Spüren Sie persönlich ein Anwachsen der Vorurteile?
Tasdögen: In Vorarlberg noch nicht. In Wien schon. Dort werden Muslime in der U-Bahn angegriffen. Politiker und Medien sind daran nicht unschuldig.
Wie können wir als Gesellschaft diese Jugendlichen auffangen?
Tasdögen: Zuerst braucht es eine Ursachenforschung, anschließend müssen wir ein Programm für diese Jugendlichen und deren Familien erstellen. Man muss mit diesen Jugendlichen reden und sie fragen, was sie dazu bewegt, in den Krieg zu ziehen. Reden und Seelsorge sind das beste Rezept.
In Vorarlberger Moscheegemeinden gibt es so etwas nicht.
Abdi Tasdögen
Zur Person
Abdi Tasdögen, MBA
ist seit 2011 Fachinspektor für den islamischen Religionsunterricht in Vorarlberg und Vorsitzender der IRG-Bregenz für das Bundesland Vorarlberg. Von 2000 bis 2009 Vorsitzender der Jugendabteilung der Österreichischen Islamischen Föderation.