“Kein Anzeichen für Protest“

ORS-Österreich-Chef Wilhelm Brunner sieht sich und seine Organisation „selbstkritisch“.
Schwarzach. In die Kritik geraten ist die private Flüchtlingsorganisation ORS (Organisation für Regie und Privataufträge). Ihr wird eine Teilschuld an den chaotischen Verhältnissen in Traiskirchen gegeben. Auch in Vorarlberg wird die Rolle der Organisation nach dem Flüchtlingsprotest hinterfragt. ORS-Österreich-Chef Wilhelm Brunner nimmt in einem VN-Interview zu den Vorwürfen Stellung und äußert sich auch zu den Problemen in Vorarlberg.
Was beinhaltet für die ORS die Flüchtlingsbetreuung?
Brunner: Darin enthalten sind viele Dinge: Die soziale Betreuung mit Informationen über die wichtigsten Dinge des Alltagslebens, Informationen über wichtige Kontakte, über die Hausordnung, über ärztliche Betreuung, über Rechtsberatung und über Beschwerdemöglichkeiten. Dazu gehören auch die Verpflegung mit Essen, die Versorgung mit Bekleidung, die Organisation von Verlegungen, ein Angebot an Deutschkursen, Übersetzungshilfe, Informationen über Land und Leute, die Mitgestaltung von Freizeitaktivitäten, der Einsatz der Flüchtlinge für Tätigkeiten wie Wäschereinigung und Reinigung der Nassräume.
Wie schaut die Struktur des betreuten Tagesablaufs für Ihre Klienten aus?
Brunner: Neben den drei Tagesmahlzeiten wird die Restzeit mit oben beschriebenen Aktivitäten gefüllt.
Wer ist der Ansprechpartner für die Flüchtlinge im Betreuerteam vor Ort?
Brunner: Es gibt immer mindestens einen Betreuer vor Ort, der als Ansprechperson fungiert.
Sind Ihre Mitarbeiter vor Ort auf Mentalität und Kultur der Flüchtlinge vorbereitet?
Brunner: Ja. Wir haben ein Team von erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, erweitert durch Neulinge in diesem Bereich. Man ergänzt sich.
Gibt es Probleme zwischen weiblichen Betreuungspersonen und den hauptsächlich männlichen Flüchtlingen?
Brunner: Die Reduktion auf Geschlechterrollen wäre zu einfach. Wenn es Probleme gibt, sind dies Einzelfälle, und die muss man sich individuell ansehen. Natürlich gibt es auch Flüchtlinge, die aus dem arabischen Raum ein anderes Rollenverständnis von einer Frau mitbringen. Die Flüchtlinge wissen sich aber in der Regel den österreichischen Spielregeln anzupassen.
Welche Voraussetzungen muss jemand haben, der für Ihre Organisation tätig ist?
Brunner: Wir setzen Personen mit einer Ausbildung im Sozial-, Pädagogik-, Gesundheits- oder Pflegebereich ein. Und natürlich brauchen wir auch Betreuer mit entsprechenden Sprachkenntnissen. Deshalb werden auch Native Speaker zur Unterstützung der Betreuung eingesetzt.
Gab es in Dornbirn aus Ihrer Sicht Fehler in der Betreuung, die dann mitverantwortlich für die Proteste waren?
Brunner: Wir sehen uns durchaus selbstkritisch. Es hat wohl was mit den Erwartungen zu tun, die in so kurzer Zeit nicht immer korrigiert oder gesetzt werden können. Und manchmal, wie vielleicht auch in diesem Fall, gibt es spontane Aktionen, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich vergleiche das mit einem Jugendlichen, der von seinen Eltern gezwungen wird, an einen neuen Ort mit zu übersiedeln. Das kann auch Widerstand und Protest auslösen, obwohl dafür kein Grund vorhanden ist – außer der Tatsache, dass man übersiedeln muss, nicht gefragt wird, nicht mitreden kann.
Gab es im Vorfeld des Protests keine Anzeichen dafür, dass dieser stattfindet?
Brunner: Nein, es gab keine Anzeichen. Genauso wie wir vergangenen Donnerstag sehr überrascht wurden, als drei Asylwerber nicht in eine dauerhafte Unterkunft übersiedeln und lieber in der Bildgasse bleiben wollten.
Wissen Sie, wer den Flüchtlingen die Transparente mit den deutschsprachigen Parolen gemacht hat?
Brunner: Nein.
Was für Konsequenzen haben diese Ereignisse für die Arbeit Ihrer Organisation – vor Ort und überhaupt?
Brunner: Sich noch mehr zu bemühen, die Vorgänge zu erklären. Wer trifft welche Entscheidungen, welche Mitspracherechte gibt es oder eben nicht? Man geht jeden der Vorwürfe durch, überlegt sich, ob sie gerechtfertigt sind, bespricht sie mit den Asylwerbern. Wir können zwar nicht beeinflussen, wer wohin verlegt wird, aber wir passen Menüpläne an, wenn dies nicht zur Benachteiligung einer anderen Gruppe führt. Wir suchen in Fragen mit Spielraum den Konsens.
Wie viele Betreuer Ihrer Organisation sind momentan in Vorarlberg tätig?
Brunner: An den beiden Standorten in Götzis und Dornbirn sind das für die 160 Flüchtlinge 16 Mitarbeiter.
Wie lukrativ ist das Geschäft mit der Flüchtlingsbetreuung? Was an Gewinn bleibt bei einem Auftrag wie jenem in Dornbirn Bildgasse übrig?
Brunner: Die ORS ist eine private Gesellschaft. Wir geben keine Auskünfte über unsere Finanzen. Selbstverständlich werden unsere Firmenergebnisse nach den gesetzlichen Vorschriften veröffentlicht.

Zur Person
Wilhelm Brunner
Der 51-jährige Niederösterreicher war elf Jahre an der Wirtschaftsuniversität Wien für Weiterbildung zuständig, später für Öffentlichkeitsarbeit. Dann wandte sich Brunner der Flüchtlingsarbeit zu und betreute mehrere EU-Projekte, ehe er zur ORS stieß.