Als jeder Vierte ein Fremder war

Nicht zum ersten Mal in der Geschichte suchen Flüchtlinge Schutz in Vorarlberg.
Schwarzach. Syrien, Irak, Afghanistan, Nigeria – in keinem dieser Staaten ist Beruhigung in Sicht. Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht, einige Tausend haben es bis nach Vorarlberg geschafft. Sie harren in einer Tennishalle, in einer Fabrikhalle, einer Turnhalle oder in Gasthäusern aus. Es ist nicht das erste Mal, dass Vorarlberg mit Flüchtlingen zu tun hat. Schon 1945 gab es eine solche Situation, aber nicht mit 2000 Asylwerbern. Bei Kriegsende im Mai befanden sich 65.000 sogenannte „Landesfremde“ in Vorarlberg, also jeder vierte Einwohner.
Die meisten Flüchtlinge erreichten schon vor Kriegsende Vorarlberg. Darunter waren Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, also unfreiwillig Gekommene. Das NS-Regime wies viele Reichsdeutsche aus Großstädten nach Vorarlberg, um der nahenden Front zu entkommen. 1943 errichteten die Behörden deshalb Massenunterkünfte in Gasthäusern wie dem Sternen in Wolfurt.
Politik hatte ein klares Ziel
Auch zwangsausgewiesene Flüchtlinge fanden den Weg ins Land. Wie Dieter Knall (geboren 1930), der im Buch „Erinnerungen. Biografische Notizen“ seine Flucht schildert. Als Volksdeutscher wurde er mit seiner Familie 1944 aus Rumänien ausgewiesen. Seine Familie kam in einem Dorf unter, das auch heute in dieser Frage eine besondere Rolle einnimmt: Alberschwende.
Verantwortlich für die Flüchtlinge waren die französische Militärregierung mit dem „Service social“ und später die Landesregierung. Der Historiker Wolfgang Weber sieht einen großen Unterschied zwischen heute und vor 70 Jahren: „Die Stakeholder formulierten ein klares Ziel. Es lautete: Vorarlberg ist kein Flüchtlingsaufnahmeland.“ Die Schlagwörter waren „Auswanderung“ und „Repatriierung“ – also Rückführung.
Vorarlberg wurde zum Transitland. Zwischen Mai und Dezember 1945 reisten 130.000 Menschen durch das Land. Allein durch Bregenz sollen im Sommer 1945 täglich bis zu 3000 Menschen geschleust worden sein.
Viele Lager entstanden
Die große Fluchtbewegung ließ in den letzten Kriegswochen an der österreichisch-schweizerischen Grenze einige Lager entstehen. Neben kleineren Lagern in ehemaligen Zollhäusern bildete sich im Rappenwald in Tisis ein größeres. Es ging aus Baracken der Firma Hilti hervor, die von osteuropäischen Flüchtlingen besetzt wurden. Die Verantwortlichen versuchten, die Lager im Land nach Nationen zu ordnen. Rappenwald, Schindler (Kennelbach) und Weidach (Bregenz) waren für Ukrainer und Russen vorgesehen; Im Lager Sannwald in Hörbranz kamen Tschechen unter; Im Lager der bayrischen Leichtmetallwerke in Lochau waren es Griechen. Allein in Bregenz sind für Juni 1945 acht solcher Lager mit über 2000 Insassen überliefert.
Da sich Vorarlberg als Transitland sah, sank die Zahl der Fremden rapide. Im Dezember 1945 befanden sich noch 7270 so genannte versetzte Personen in Vorarlberg. Die größten Gruppen waren polnische (1400) und sowjetische (1000) Staatsbürger. Daneben hielten sich 9000 Südtiroler, 9000 Reichsdeutsche und 1000 Schweizer im Land auf.
Änderung nach 1950
Die Lager kosteten Geld. Dornbirn zahlte für die Lager Hatlerdorf und Haselstauden im Jahr 1945 rund 120.000 Schilling. Bregenz benötigte 425.000 Schilling für die so genannte Ausländerbetreuung. Schruns brauchte für ein Flüchtlingslager mit Deutschen, Österreichern und „Ostflüchtlingen“ rund 6500 Schilling.
1947 waren in Vorarlberg noch fünf Lager in Betrieb: Alberschwende, Mehrerau, Vorkloster, Weidach und Levis (Feldkirch). Letzteres ging aus dem Lager in Tisis hervor, das im Sommer 1946 verlegt wurde. Diese fünf Lager boten zehn Prozent aller Flüchtlinge Unterkunft und Verpflegung, der Rest war in Privatquartieren untergebracht. Dazu zählen auch die 200 bis 300 jüdischen Flüchtlinge in Hohenems.
Die Politik des Landes änderte sich zu Beginn der 50er-Jahre. Ein belgischer Geistlicher ließ in Dornbirn und Lochau 30 Siedlungshäuser bauen, die im Herbst 1954 von 22 deutsch- und acht fremdsprachigen Flüchtlingsfamilien bezogen wurden. Ab nun durften Flüchtlinge Wurzeln schlagen.
