Angst um Mindestsicherung

Vorarlberg / 13.03.2016 • 20:38 Uhr
Angst um Mindestsicherung

Österreichs Kinder- und Jugendanwälte richten Appell an die zuständigen Landesräte.

Schwarzach. 140 Kilometer liegen zwischen Innsbruck und Salzburg. Zugreisende benötigten eine Stunde und 40 Minuten, per Auto ging es früher noch schneller, je nach Grenzkontrollen im deutschen Eck variiert nun die Reisezeit. Beide Städte waren vergangene Woche Schauplatz von Tagungen mit Vorarlberger Beteiligung. In Salzburg traf sich Vorarlbergs ÖVP-Klubobmann Roland Frühstück mit seinen Klubchefkollegen aus den anderen Bundesländern, in Innsbruck tagten Österreichs Kinder- und Jugendanwälte (Kija), aus Vorarlberg war Michael Rauch dabei.

Auf der Tagesordnung beider Treffen stand die Mindestsicherung. So nah sich beide Treffen geografisch waren, so ähnlich die Tagesordnung war, beim Fazit liegen die Tagenden weit auseinander. Während die ÖVP-Klubobleute die Höhe der Mindestsicherung generell diskutieren möchten, warnen die Kinder- und Jugendanwälte: Am Ende würde es die Kinder treffen.

Kürzung mit Folgen

Roland Frühstück ist sich nach dem Treffen in Salzburg sicher: „Es kann nicht sein, dass die Mindestsicherung finanziell attraktiver ist als ein Einkommen oder die Pension, was jetzt, je nach Familiengröße, durchaus der Fall sein kann.“ Die Volkspartei fordert seit geraumer Zeit, die Mindestsicherung zu deckeln, also zu kürzen. Bei 1500 Euro soll Schluss sein.

Die Mindestsicherung erhöht sich mit jedem Kind. Um auf 1500 Euro zu kommen, muss eine Familie also mehrere Kinder haben. Hier sieht Michael Rauch das Problem: „Zielgruppe dieser Forderung sind Mehrkindfamilien. Man würde damit Kinder in die Armut treiben.“ In Vorarlberg wären 700 Kinder betroffen. Rauch ist sich sicher: „Es handelt sich um eine Neiddebatte, die Diskussion geht in eine falsche Richtung.“ 70 Prozent der Mindestsicherungsfälle in Vorarlberg seien Aufstockungen, weil das Gehalt allein den Mindestbedarf nicht decken könne.

Diese Woche treffen sich die Sozialreferenten der Bundesländer mit Sozialminister Alois Stöger (SPÖ), um dieses Thema zu behandeln. Rauch wird im Vorfeld zusammen mit seiner niederösterreichischen Kollegin Gabriela Peterschofsky-Orange eine Stellungnahme an alle Beteiligten schicken, mit dem Appell, auf eine Deckelung zu verzichten.

Zwei Tage dauerte die Kija-Klausur in Innsbruck. Ein Tag war für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) reserviert. Fazit: Es gibt zu wenig Quartiere in den Ländern. Laut der Asylkoordination Österreich leben derzeit rund 2000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Bundesquartieren. Damit fallen sie nicht in die Obhut der Kinder- und Jugendhilfe, diese ist als Landesbehörde nicht für Bundesquartiere zuständig.

Ab dem ersten Tag

Michael Rauch sieht das anders: „Wir sind der Meinung, dass die Kinder- und Jugendhilfe ab dem ersten Tag die Verantwortung für minderjährige Flüchtlinge trägt.“ Die Kinderanwälte fordern daher vom Bund, dieser solle ein Rechtsgutachten erstellen, um die Frage endgültig zu klären. „Bei diesem Thema diskutieren die Länder und der Bund über Kosten und Kompetenzen. Das nennt man Föderalismus“, ärgert sich Rauch. Zudem sei von Land zu Land unterschiedlich, welche Rolle die Kinder- und Jugendhilfe übernimmt. Vorarlberg sei gut unterwegs: „Bei uns im Land ist sie sehr aktiv.“

Aktivität hätte Rauch auch gerne auf dem Arbeitsmarkt, und zwar von minderjährigen Flüchtlingen. Das Sozialministerium will bekanntlich eine Ausbildungspflicht für alle Jugendlichen bis 18 Jahre gesetzlich festlegen, was im Gegenzug ein Recht auf einen Ausbildungs- oder Bildungsplatz bedeutet. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind dezidiert ausgenommen. Rauch wünscht sich: „In Sachen Integration wäre es wichtig, dass auch UMF ins Ausbildungsgesetz aufgenommen werden.“

Nächstes Thema: Scheidungen

Im Herbst planen Österreichs Kinder- und Jugendanwälte die nächste Klausur. Das Thema steht bereits fest: „Wir werden uns Trennungen und Scheidungen widmen“, blickt Rauch voraus. Genauer: „Es gibt viele Institutionen auf diesem Gebiet. Wir möchten Kompetenzen und Nutzen überprüfen und uns überlegen, was noch benötigt wird. Mir ist es in Vorarlberg zum Beispiel noch nicht gelungen, den Kinderbeirat bei Scheidungen zu etablieren.“

Bei der Wahl der Tagungsorte nähern sich ÖVP und Kinder- und Jugendanwaltschaft einander an, das Herbsttreffen findet in Salzburg statt. Beim Thema Mindestsicherung ist vorerst keine Annäherung in Sicht.

Das ist eine Neiddebatte, sie geht in die falsche Richtung.

Michael Rauch