„Es gibt kein Sparen ohne Schulden”

Vorarlberg / 22.04.2016 • 19:13 Uhr
„Es gibt kein Sparen ohne Schulden"

Ökonom Heiner Flassbeck hält die herrschende wirtschaftliche Lehre für falsch.

Bregenz. Deutschland oder Vorarlberg bezeichnen sich gerne als Exportweltmeister. Ökonom Heiner Flassbeck bezeichnet das im VN-Interview als „egoistisch“ und „idiotisch“.

Der ehemalige Chef-Volkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung kritisiert zudem den Steuerwettbewerb und die niedrigen Unternehmenssteuern. Am Wochenende ist er in Bregenz zu Gast.

Sind Sie überrascht über die Offshore-Geschäfte, die durch die Panama-Papers öffentlich wurden?

Flassbeck: Nein. Dass Leute Briefkastenfirmen in Panama haben und damit Steuern sparen, ist doch überhaupt kein Wunder.

Die ausführenden Banken und Kanzleien betonen, dass die Geschäfte ja legal sind.

Flassbeck: Was legal ist, ist legal. Die deutsche Regierung hat jahrzehntelang Länder ermutigt, in einen Steuerwettbewerb einzutreten. Einige haben das bis ins Extreme getrieben, vor allem kleine Nischenländer. Panama ist überall.

Schadet der Steuerwettbewerb?

Flassbeck: Das ist kein Wettbewerb, sondern ein Unterbietungskampf. Auch Deutschland hat da mitgemacht. Die Körperschaftssteuer wurde gesenkt, weil in der Slowakei die Körperschaftssteuer niedrig war.

Wird sich die Politik nach den Panama-Papers darauf einigen, den Steuerwettbewerb einzudämmen?

Flassbeck: Es wird so viel passieren wie vor einigen Jahren, als die Schweiz heftig kritisiert wurde. Da hat man ein bisschen etwas geändert, aber das Thema ist niemals wirklich angegangen worden. Auch jetzt wird niemand Druck auf Länder ausüben, damit es diesen absurden Wettbewerb nicht mehr gibt.

Steuern erhöhen ist nicht populär. Erben und Schenken kostet zum Beispiel fast nichts. Das Geld sei ja schon versteuert worden.

Flassbeck: Das ist ein Irrsinnsargument, ein Lobbyargument. Wenn wir Benzin kaufen, wird das bereits besteuerte Einkommen noch einmal besteuert. Mit der Mehrwertsteuer folgt die dritte Besteuerung.

Ich wollte darauf hinaus, dass der Faktor Arbeit hingegen sehr hoch besteuert wird. Teilweise mit 50 Prozent. Das ist zu viel, oder?

Flassbeck: Das kann man so nicht sagen. Es kommt darauf an, was die Gesellschaft will. Wenn sie eine gute Infrastruktur und eine vernünftige Bildung will, dann muss sie eben mehr Steuern zahlen. Man könnte vielleicht die Unternehmenssteuer erhöhen und die Steuern für Arbeitnehmer dafür senken. Aber ob sie allgemein zu hoch sind, kann man nicht so einfach sagen.

Wandern die Unternehmer dann nicht ab?

Flassbeck: Das haben sie auch gemacht, als die Steuern gesenkt wurden. Wir brauchen eben eine internationale Vereinbarung, dass die Steuern nicht beliebig niedrig sein dürfen. Unternehmen dürfen schon abwandern, dann sollen sie aber auch wo anders verkaufen. Der Staat hat immer die Möglichkeit, zu disziplinieren.

Das klingt nach einer schwer durchsetzbaren Forderung.

Flassbeck: Wir haben keine politischen Parteien, die das wollen. Es sind ja alle ganz wild darauf, die Steuern für Unternehmen zu senken.

Vorarlberg ist ein Exportland. Sie bezeichnen die deutsche Exportpolitik als egoistisch. Inwiefern egoistisch?

Flassbeck: Weil man nicht überall auf der Welt Überschüsse erzielen kann. Wenn einer Überschüsse macht, muss ein anderer Defizite machen. Wie soll ich das nennen? Egoistisch? Idiotisch? Irgendwann geht der Schuldner pleite, dann hat der Gläubiger keine Kunden mehr. Das ist reine Logik.

Ohne Export würde es den Menschen hier nicht so gut gehen.

Flassbeck: Ja. Aber dafür geht’s den Menschen anderswo schlechter.

Vorarlberg und Deutschland wirtschaften doch gut? Sie machen keine neuen Schulden, sparen sogar noch Geld an.

Flassbeck: Das funktioniert nicht. Es gibt kein Sparen ohne Schulden. Es ist eine dumme und lächerliche Debatte, wenn man vom Sparen spricht und auf keinen Fall Schulden machen will. Die Blöden in Südeuropa, die sollen die Schulden machen. Das geht auf Dauer nicht.

Soll also mehr investiert statt gespart werden?

Flassbeck: Ja sicher. Wir investieren unheimlich wenig. Es wird weniger investiert als vor zehn Jahren, die Unternehmersteuersenkungsorgien haben zu nichts geführt. Eigentlich könnte man daher die Steuern wieder erhöhen.

Soll auch die öffentliche Hand mehr investieren?

Flassbeck: Klar, in Deutschland brechen Brücken zusammen, die Infrastruktur ist marod. Oder in der Bildung, oder zur ökologischen Vorsorge, es könnten Milliarden ausgegeben werden. Aber wir zwingen unsere Gemeinden und unsere Länder, kein Geld auszugeben. Das ist vollkommen absurd.

Die Europäische Zentralbank versucht mit ihrer Nullzinspolitik, Investitionen anzukurbeln. Funktioniert das?

Flassbeck: Nein. Den Unternehmen hat man die Steuern gesenkt, die Löhne sind aber kaum gestiegen. Und was haben die Betriebe gemacht? Nichts investiert. Dann muss es eben der Staat tun.

Wie weit darf sich ein Staat verschulden?

Flassbeck: Je nachdem. Wenn die Leute viel sparen, muss sich der Staat hoch verschulden. Da gibt es keine festen Regeln.

Das klingt nach einem Dilemma.

Flassbeck: (lacht) Es klingt danach, als ob die herrschende Lehre falsch wäre. Die redet uns ein, wir könnten Schulden abbauen und gleichzeitig sparen. Das geht halt nicht.

Wie soll ich es sonst nennen? Egoistisch? Idiotisch?

Heiner Flassbeck

Zur Person

Heiner Flassbeck

Deutscher Wirtschaftswissenschaftler. Er war Staatssekretär im Finanzministerium und von Januar 2003 bis Ende 2012 Chef-Volkswirt bei der UNO-Organisation UNCTAD in Genf.

Geboren: 12. Dezember 1950

Sozialstaat-Zukunft: Heute, Samstag, ab 9 Uhr. U. a. mit Heiner Flassbeck, Gabriele Michalitsch.