Grenzen im Kopf
Grenzen und Grenzzäune haben in Europa neue Aufmerksamkeit erfahren. Nach Jahren, in denen von vielen Politikern der Eindruck erweckt wurde, als spielten die Staatsgrenzen in Europa keine Rolle mehr, übertrifft man sich jetzt gerne mit Vorschlägen, wie das jeweilige Territorium vor Einwanderung geschützt werden kann.
Auf dem Bodensee gibt es dagegen nicht nur keinen Grenzzaun, sondern auch keinen offiziellen, von allen Anrainerstaaten, also Deutschland, der Schweiz und Österreich, anerkannten Grenzverlauf. Die drei Staaten sind sich nämlich nicht einig, wem der See „gehört“. So ist die Schweiz der Auffassung, dass der Bodensee in insgesamt drei Teile gegliedert ist, von denen zwei relativ groß sind und der dritte ziemlich klein ist und nicht viel mehr als die Bregenzer Bucht umfasst. Dieser Abschnitt soll zu Österreich gehören und die beiden anderen Teile sollen der Schweiz und Deutschland zugeordnet sein. Die österreichische Auffassung ist etwas komplizierter: Bis zu einer Wassertiefe von jeweils 25 Metern gehört der Bodensee dem jeweiligen Uferstaat, ab dieser Tiefe wäre er sozusagen gemeinsamer Besitz aller Anrainerstaaten. Von Deutschland kennen wir keine offizielle Auffassung zur Bodenseegrenze.
Es ist für die friedlich aneinander angrenzenden Nachbarn kein besonderes Problem, dass sie jeweils unterschiedliche Auffassungen über die Bodenseegrenze vertreten, weil man sich über die wesentlichen Fragen, wie etwa die Rheinregulierung, meistens verständigen konnte. So ist der See ein schönes Symbol guter Zusammenarbeit in einer Zeit, in der sich viele Staaten Europas immer mehr abschotten. Das schlechte Gegenbeispiel ist die Bucht von Piran in der oberen Adria, wo Slowenien und Kroatien seit Jahren erbittert über den Verlauf der Grenze im Meer streiten.
Auch wenn die Offenheit des Bodenseeraums und die gute Nachbarschaft der Regionen für Europa geradezu beispielhaft sind, sind noch nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Im Hochschulbereich etwa könnte die Kooperation nach meinem Eindruck besser sein. Was die Anbindung an die internationalen Verkehrsnetze betrifft, hat die Bodenseeregion als Ganzes einen massiven Nachholbedarf. Die Nachbarn am Bodensee könnten schon noch die einen oder anderen Grenzen in den Köpfen abbauen.
Die drei Staaten sind sich nämlich nicht einig, wem der See ,gehört‘.
peter.bussjaeger@vorarlbergernachrichten.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus
und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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