Vorarlberg-Modell bei der Sonderpädagogik

Schulinspektoren Karin Engstler und Christian Kompatscher forcieren flexible Lösungen.
Schwarzach. Aufhorchen lassen hatte unlängst Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (48). Sie fordert mittelfristig eine Abschaffung der Sonderschulen. Kinder mit Behinderungen sollten unter den notwendigen Voraussetzungen in Klassen mit „normalen“ Altersgenossen unterrichtet werden. Im Fachjargon heißt das Inklusion.
Südtirol und Finnland
Der Vorschlag ruft in Vorarlberg die unterschiedlichsten Reaktionen hervor. Gut findet die Idee der grüne Bildungssprecher und ehemalige Vorarlberger AHS-Direktor Harald Walser (63). „Wir sollten danach streben, in unserer Schullandschaft einen hundertprozentigen Inklusionsgrad zu erreichen.“ Walser spricht in diesem Zusammenhang von Regionen und Ländern wie Südtirol und Finnland. In Südtirol hat er sich Inklusionsmodelle gemeinsam mit Ministerin Hammerschmid angeschaut. „Und Finnland ist das Beispiel für ein Land mit einem fast hundertprozentigen Integrationsangebot, das bei internationalen Leistungstests im Spitzenfeld liegt. Wie andere Länder mit hohem Inklusionsgrad übrigens auch“, so Walser.
Für Sonderschulen
Eine völlig andere Haltung zum Thema Sonderpädagogik haben die dem ÖAAB nahestehenden Lehrerinnen und Lehrer in Vorarlberg. „Die Sonderschulen müssen erhalten bleiben. Das ist eine Sache des Hausverstandes“, betont ÖAAB-Lehrervertreter Wolfgang Türtscher (60). Er unterstützt die bundesweite Bürgerinitiative für den Erhalt besonderer Schulen von betroffenen Eltern. Vorarlberg biete ein nahezu ideales System im Bereich Sonderpädagogik. „Für den Ausbau der sonderpädagogischen Zentren sprechen viele Gründe“, ist Türtscher überzeugt.
Neue Wege
„In Vorarlberg gehen wir im Bereich Sonderpädagogik einen eigenen Weg“, äußert sich Schullandesrätin Bernadette Mennel (57) zum Thema. Und weiter: „Wir werden ganz sicher unsere Landessondereinrichtungen wie das Schulheim Mäder oder das Landeszentrum für Hörgeschädigte behalten. Denn dort finden schwer beeinträchtigte Kinder die beste Infrastruktur vor“, macht Mennel deutlich.
Für die große Mehrheit der Schulkinder mit Beeinträchtigungen soll es in Vorarlberg enge Kooperationen zwischen Pflichtschulen und sonderpädagogischen Einrichtungen geben. „Solche Kooperationen gibt es bereits in Bregenz, Lauterach, Langenegg oder im Kleinwalsertal“, ergänzt Mennel. Sie will das einzelne Kind mit seinen individuellen Bedürfnissen im Mittelpunkt des Konzeptes für sonderpädagogische Betreuung sehen.
„Es müssen sich die Standorte verändern und mit ihren Angeboten ineinander verwoben werden“, präzisiert Christian Kompatscher (51), interimistischer Landesschulinspektor für Sonderpädagogik. Konkret heiße das: „Wenn Kinder sowohl in Kleingruppen, die auf ihre speziellen Bedürfnisse eingehen, sein können als auch in Klassen mit Kindern ohne Beeinträchtigung, dann wäre das ideal“, sagt Kompatscher. Es brauche ein Mehr an inklusiver Bildung.
Auch Kollegin Karin Engstler (59) beschwört die absolute Flexibilität in der schulischen Betreuung von Kindern mit pädagogischem Sonderbedarf. „Diese Flexibilität muss dann natürlich an den Schulstandorten der Zukunft gewährleistet sein“, sagt Engstler. Kein Zweifel besteht aber auch für sie, dass Einrichtungen für schwer beeinträchtigte Kinder bleiben müssen. „Man kann nicht erwarten, dass alle Schulen für diese Kinder die notwendige Infrastruktur haben.“
Das sieht Harald Walser anders. „Ich habe Fälle erlebt, wo Kinder, die nicht reden und essen können, in einem Bett in der Klasse waren. Davon haben alle Schüler profitiert. Bildung inkludiert ja auch die Auseinandersetzung mit solchen Situationen.“
Wir brauchen Schulstandorte, die Flexibilität ermöglichen.
Karin Engstler
Sonderpädagogik in Vorarlberg
» ca.2000 Kinder mit pädagogischem Sonderbedarf
» 131 Sonderschulklassen
» 17 Sonderschulen, vier davon angeschlossen an eine Volks- oder Mittelschule
» 5 pädagogische Sondereinrichtungen mit spezieller Ausstattung für Kinder mit schweren Beeinträchtigungen
» 557 Integrationsklassen mit mindestens einem Kind mit sonderpädagogischem Bedarf; das sind 81 Prozent im Pflichtschulbereich